The Lucky One - Für immer der Deine/Film: Roman (German Edition)
Als Mitglied der Marines machte es ihm selbstverständlich nichts aus, dass er ständig versetzt wurde. Thibault war in seiner Kindheit immer wieder umgezogen und hatte auf Militärstützpunkten überall auf der Welt gelebt. In gewisser Weise erschien Okinawa ihm heimatlicher als Colorado. Sein Japanisch war zwar etwas eingerostet, aber er müsste sicher höchstens eine Woche in Tokio verbringen, und schon könnte er die Sprache wieder genauso fließend sprechen wie damals. Wie sein Vater hatte er von Anfang an vor, sich eines Tages von den Marines zurückzuziehen, aber er wollte anschließend noch eine Weile lang das Leben genießen können. Dad war nur zwei Jahre, nachdem er die blaue Uniform für immer in den Schrank gehängt hatte, an einem Herzinfarkt gestorben. Es war ein massiver Infarkt gewesen, aus heiterem Himmel: Er schaufelte Schnee in der Einfahrt – und eine Minute später war er tot. Das lag nun schon dreizehn Jahre zurück. Thibault war damals fünfzehn.
Der schicksalhafte Tag und das anschließende Begräbnis
gehörten für Thibault zu den deutlichsten Erinnerungen an sein Leben vor den Marines. Wenn man als Armeekind aufwächst, verschwimmt vieles und wird nebulös, schon allein deswegen, weil man so oft den Wohnort wechselt. Freunde kommen und gehen, Kleidungsstücke werden verpackt und wieder ausgepackt, alle unnötigen Sachen müssen aussortiert werden, und deshalb bleibt nicht allzu viel hängen. Manchmal ist das hart, aber es gibt einem eine Kraft, die andere Menschen nicht so leicht verstehen. Die Kinder lernen, dass sie sich zwar immer wieder von Personen trennen müssen, dass aber andere ganz problemlos ihren Platz einnehmen werden. Sie lernen, dass jeder Ort seine guten – und seine schlechten – Seiten hat. Man wird sehr schnell erwachsen, wenn man so aufwächst.
Selbst die College-Jahre waren in Thibaults Erinnerung eher diffus. Aber dieses Kapitel in seinem Leben hatte seine eigenen Regeln gehabt: Während der Woche wurde gelernt, am Wochenende wurde gefeiert, vor den Prüfungen musste man büffeln wie verrückt, das Essen im Wohnheim schmeckte mies. Außerdem hatte er zwei Freundinnen, eine sogar etwas länger als ein Jahr. Jeder, der aufs College ging, erzählte die gleichen Geschichten, und nur wenige Erlebnisse hinterließen einen bleibenden Eindruck. Letzten Endes zählte nur das, was man gelernt hatte. Fast kam es Thibault so vor, als hätte sein Leben erst bei der Grundausbildung in Parris Island richtig angefangen. Sobald er dort aus dem Bus stieg, brüllte ihn auch schon der Drill Sergeant an. So ein Ausbildungsoffizier brachte einem sehr schnell bei, dass das bisherige Leben unwichtig war. Jetzt gehörte man ihm, und alles
andere zählte nicht mehr. Fünfzig Liegestütz, und zwar sofort, Sportsfreund! College-Ausbildung? Bau das Gewehr zusammen, Einstein . Vater war bei den Marines? Dann putz mal die Latrine, genau wie dein alter Herr früher . Die gleichen Klischees. Laufen, marschieren, stramm stehen, durch den Matsch robben, Wände hochklettern: In der Grundausbildung gab es nichts, womit Thibault nicht gerechnet hatte.
Zugegeben – zum großen Teil funktionierte der Drill. Die Leute wurden fertiggemacht, bis sie so klein mit Hut waren, und dann wurden Marines aus ihnen geformt. So hieß es jedenfalls in der Theorie. Thibault jedoch ließ sich nicht kleinmachen. Er befolgte die Befehle mit gesenktem Kopf, er gehorchte, aber er blieb derselbe Mensch, der er schon vorher gewesen war. Und trotzdem wurde er einer der Marines.
Schließlich kam er zu der Einheit First Battalion, Fifth Marines . Sein Standort war die Militärbasis Camp Pendleton, nicht weit von San Diego, Kalifornien. San Diego war eine Stadt ganz nach seinem Geschmack, fantastisches Wetter, wunderschöne Strände und noch schönere Frauen. Im Januar 2003, gleich nach seinem dreiundzwanzigsten Geburtstag, wurde Thibault nach Kuwait City geschickt, im Rahmen der Operation Iraqui Freedom . Camp Doha, in einem der Industrieviertel von Kuwait City gelegen, existierte schon seit dem ersten Golfkrieg und war sozusagen eine selbstständige Stadt. Es gab dort ein Fitnessstudio und ein Computerzentrum, einen Supermarkt, Restaurants – und endlose Zeltreihen, die sich bis zum Horizont erstreckten. Hier war immer viel los, aber wegen der bevorstehenden Invasion herrschte noch
mehr Betrieb als sonst, was zu einem allgemeinen Chaos führte. Die Tage bestanden aus stundenlangen Besprechungen, dazu kamen die
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