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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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I
PROLOG
    Der Kanzler hatte die Schriften, nach denen er suchte, in Rostock, Wittenberg und Jena studiert. Er wusste, jetzt waren sie hier, in diesem Kloster. Es handelte sich nicht um Bögen von feinem Papier, zu Lagen gefaltet und mit starken Fäden zusammengeheftet wie die Breviere der Novizen. Vor allem nicht das siebente Pergament, es war abgezogene Menschenhaut, er hatte nicht nur davon gehört, er hatte es gesehen. Als Scholar hatte es ihn in Erregung versetzt, der Soldat hingegen war nach so vielen Jahren gesättigt von solchen Anblicken, Menschenhaut, noch blutig, mit kleinen, weißen Klumpen Fleisch an der Hülle. Aber auf diesem schon gegerbten Leder hier stand etwas geschrieben, und das war der Grund seiner Suche, verfasst von seinen Feinden. Er wollte es zerstören. Zerstören.
    Kloster Eberbach schien im Winterschlaf zu liegen. Oxenstierna wusste, es war der düstere Schlaf des Todes. In der zersplitterten Fensterfront der Orangerie brach sich das letzte Sonnenlicht, die Brücken über den Bach zerstört, verdorrter Taxus, herausgerissene Ziersträucher. Auf den Dächern wehten im kalten Januarwind die Wimpel des schwedischen Protektorats. Oxenstierna zügelte erstaunt seinen Falben, als die Glocke der Kirche fünfmal rief. War die Zeit nicht stehen geblieben?
    Er hatte die Schanzen und Laufgräben der von Pappenheimer und Tilly neu formierten Söldnerheere verlustreich überwunden, die sich ihm von den größten Heerlagern in Stralsund und Spandau durch das ganze Reich bis hinter Wiesbaden in den Weg gestellt hatten. Er hatte zwei Brücken über den Rhein und hundert Weinlastschiffe mit Feldschlangen, Mörsern und Kartaunen in die Fluten stürzen lassen und war durch die ausgebrannten Marktflecken aus der Ebene heraufgezogen; er hatte keinen Sinn für das Licht gehabt, das beim Aufstieg einmal mit Macht durch die niedrige Wolkendecke brach und den Fluss zum Leuchten brachte. Er war besessen von dem Gedanken, das ihm geschenkte Kloster im Kisselbachtal zu einem ständigen Vorposten seiner Truppen zu machen, während er den Thron im Kurfürstentum Mainz bestieg. Deshalb musste er die Zerstörungen in Grenzen halten. Und vor allem musste er den heiligen Ort von den niederträchtigen Prophezeiungen reinigen. Denn seine Soldaten, die in der Kälte kauerten, so roh sie auch waren, Wölfe inmitten von Aas, sie durften nicht durch düstere Omen beschmutzt werden. Sie glaubten zu schnell daran, so wie er selbst es glaubte. Dieser Glaube sog ihnen allmählich das Blut aus den Adern. Und ihm. Aber das behielt er für sich.
    Oxenstierna, der Reichskanzler, seitdem sein gieriger und unglücklicher, an Geist und Körper zerrütteter König im Jahr zuvor gestorben war, hatte alles an sich gerissen und war in Eile. Er hatte sich vorgenommen, noch in diesen Tagen die evangelischen Stände des fränkischen, schwäbischen, oberrheinischen und kurrheinischen Reichskreises unter seiner Leitung zusammenzufassen, bis April den Heilbronner Bund zu gründen, sonst würden seine Gegner, diese Menschen fressende Bestie mit zehntausend katholischen Köpfen, ihn zermalmen. Und wenn er dieses verfluchte Ding im Kloster nicht fand, war sowieso alles vergeblich. Diese Menschenhaut. Auf der alles Unheil geschrieben steht. Er hatte es den aufrechten Frauen zu Hause, die nicht an den Spuk von Weissagungen glaubten, versprochen, er musste es zerfetzen, sonst nützte es nur den Hunden des Papstes, die damit herumzogen, um den Weltuntergang wie einen Ablass zu verkaufen, an dem sie sich bereicherten.
    Er hatte seinen Experten gefragt. Hier, nur hier konnte das liegen, was sie für die Prophezeiung hielten. Die Prophezeiung! Es war das siebente der unheilvollen Pergamente, das noch übrig war. Es musste getilgt werden.
    Der Reichskanzler riss an seinem weichen Koller aus gelbem Elchleder, auf dem das Kettenhemd lag, als ersticke er   – in diesen Tagen wurde ihm alles zu eng. Er keuchte im Rauch der Brände. Über sich die schwarzen Vögel, die auf eine Schwäche lauerten, auf einen Moment des Zögerns, des Verschnaufens, der Ratlosigkeit. Lebendig eigentlich nur die entstellten Bettler, die sich an die durchschossenen, doppelten Mauern vor die Klosterpforte geschleppt hatten. Um sich der Tod in mancherlei Gestalt. Er blickte auf das, was der Zug seiner selbst in Lumpen gekleidete Landsknechte, eher nach Nahrung und Beute als nach dem Gegner Ausschau haltend, Weidenzweige um die morschen Sohlen, verrichtet hatte; beobachtet von ihren

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