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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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sie sich in die Zentren des Wissens selbst verlagert und diese von innen her anfrißt. Daß Universitäten, die über eine nahezu tausendjährige Erfahrung im Umgang mit Wissen verfügen, sich in ihrer Restrukturierung an den plattesten Unternehmensideologien orientieren, ist ein Armutszeugnis und Ausdruck faktischer Dummheit. Anstatt aufgrund des eigenen Wissens und Reflexionspotentials diesen Unfug zu kritisieren, unterwirft man sich ihm, getrieben von der panischen Angst, einen der stakkatoartig vorbeirollenden Modernisierungsschübe zu versäumen. Es konnte nicht ausbleiben, daß nun auch Universitäten gezwungen werden, nach dem Vorbild von Unternehmen dazu überzugehen, Wissensbilanzen zu erstellen, um ihren Wert endlich in nackten Zahlen und bunten Diagrammen auf eine Folie pressen zu können.
    Was in einer Wissensbilanz bilanziert wird, ist allen ein Mysterium. Daß es nichts zum Zusammenzählen gibt, hat in einer Welt, die an einem veritablen Quantifizierungssyndrom leidet, noch niemanden daran gehindert, dies trotzdem zu tun. Man muß nicht glauben, daß in einer Wissensbilanz das tatsächliche Wissen fein säuberlich nach Soll und Haben verzeichnet wird. Ihre eigene geistige Verfaßtheit zu bilanzieren – dafür fehlt den Verantwortlichen dieser Spiele der Mut. Nein, die Wissensbilanz dient der »ganzheitlichen Darstellung, Bewertung und Kommunikation von immateriellen Vermögenswerten, Leistungsprozessen und deren Wirkungen« – so steht es zumindest in einer entsprechenden Verordnung des österreichischen Bildungsministeriums, die als paradigmatisch gelten kann. 73 Die »immateriellen Vermögenswerte« setzen sich natürlich nicht aus Ideen, sondern – wie könnte es anders sein – aus verschiedenen Kapitalformen zusammen: Humankapital, Strukturkapital und Beziehungskapital. Aus dem, was Menschen vermögen, wird ein bilanzierbares Vermögen.
    Der Begriff des Kapitals kehrt in der Wissensbilanz zu seinen etymologischen Wurzeln zurück: »Kapital«, in dem das lateinische Wort für Kopf, caput , steckt, wurde noch im 18. Jahrhundert als Begriff für die inneren Fähigkeiten und Potentiale des Menschen verwendet, Immanuel Kant sprach in einer eigenwilligen Formulierung von der »Barschaft« des eigenen »Lebensgefühls«. 74 Für Menschen, die nichts anderes ihr eigen nennen können als ihre (geistige) Arbeitskraft, ist es immer wieder tröstlich zu wissen, was alles Kapital war und wieder zu Kapital werden kann.
    An Universitäten, so lernen wir, ist die Barschaft des eigenen Lebensgefühls an strenge Auflagen gebunden, denn dort setzt sich das Humankapital aus folgenden »immateriellen« Werten zusammen: Anzahl der Habilitierten, Anzahl der Berufungen an und von einer Universität, Anzahl der Personen mit mindestens fünftägigem Auslandsaufenthalt im Jahr, Anzahl der Personen aus dem Ausland, die mindestens fünf Tage im Jahr an der Universität sind. Zu einem ganz besonderen immateriellen Kapitalwert zählt dabei das Faktum, daß alle diese Personen entweder Männer oder Frauen sein können, wobei eine Universität selbstredend um so besser immateriell bilanziert, je höher der Frauenanteil ist. Reisende habilitierte Frauen, so könnte man sagen, sind das wertvollste immaterielle Kapital, dessen man habhaft werden kann.
    Das Sozialkapital muß allerdings noch mit dem ebenfalls immateriellen »Strukturkapital« verrechnet werden. Dieses setzt sich im wesentlichen aus Aufwendungen für die Gleichstellung der Frau, für Maßnahmen zur Förderung der genderspezifischen Lehre und für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zusammen. Langsam kristallisiert sich ein klares Bild heraus. Zu all dem kommt noch das »Beziehungskapital«. Dieses besteht zur allgemeinen Überraschung mitnichten aus geschlechtsspezifischen Kommunikationen, sondern aus der Anzahl der Personen, die als Gutachter, Vorsitzende in Beiräten und Mitglieder in diversen Berufungs- und Habilitationskommissionen tätig sind. Man sieht, nach den Kriterien einer Wissensbilanz haben an modernen Universitäten zumindest die Beziehungen wahrhaft akademisches Niveau.
    Nachdem das immaterielle Kapital einer Universität sein materielles Gewicht erhalten hat, kommt es darauf an, was mit Kapital geschieht. Denn Kapital, so wußte es Karl Marx, von dem an einer modernen wissensbilanzierten Universität niemand mehr etwas wissen will, ist nur dann Kapital, wenn es sich vermehrt. Die immateriellen Vermögenswerte werden also zu den

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