Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
hingegen in den Chancen seiner ökonomischen, politischen oder zumindest medialen Nutzung – letztere allein garantiert übrigens zur Zeit das Überleben der Geisteswissenschaften. Weil das Wissen von den individuellen und sozialen Bildungsprozessen entkoppelt ist, kann es nun als ein Stoff behandelt werden, der allein nach den Kriterien der Verwertbarkeit in Umlauf gehalten oder entsorgt werden kann. Deshalb gibt es auch das Wissensmanagement. Und keine Gesellschaft hat deshalb so abfällig über das Wissen gesprochen wie die Wissensgesellschaft, da es ihr weder um Wahrheit noch um Bildung geht. Auch für das moderne Wissensmanagement gilt unausgesprochen der Grundsatz: Du sollst nicht erkennen. Die affirmative Bildungsethik der Wissensmanager beschränkt sich in diesem Kontext auf die Forderung, daß die Mitarbeiter ihre Talente in den Dienst einer Sache stellen sollten, von der sie auch persönlich überzeugt sind, weil solch eine Einstellung auf die Umgebung positiv ausstrahlt und das Marktpotential des eigenen Wissens vergrößert. 67 Immerhin kann man solchen Konzepten den Vorzug der Deutlichkeit nicht absprechen.
»Wissensmanagement« gilt mittlerweile überhaupt als neue Heilslehre, geht es um Fragen des Wissens. Der Wissensmanager löst nicht nur den Bildungsexperten ab, auch der Pädagoge und sogar der Wissenschaftler sollen sich zunehmend als Wissensmanager verstehen. Möglich ist diese Vorstellung nur, weil die Wissensgesellschaft die Beziehung des Wissens zur Wahrheit gekappt hat. Nun werden Daten als Rohstoff, Informationen als für ein System oder Unternehmen aufbereitete Daten und Wissen als die »Veredelung von Information durch Praxis« beschrieben. 68 Statt um Erkenntnis geht es um Best practice . Gerade die Differenz, die Wissen als epistemisches Verfahren von anderen Weltbewältigungsstrategien unterscheidet, wird nun eingezogen. Das Wissensmanagement verfährt letztlich wie ein »Materialwirtschaftssystem«, und der Wissensmanager erhebt gerade einmal den paradoxen Anspruch, unter »Ausklammerung von Wahrheits- und Geltungsfragen« herauszufinden, welche Art von Wissen sein Unternehmen zur Lösung seiner Probleme benötigt. 69
Unter dieser Perspektive kann die Frage nach der Wahrheit so gut entfallen wie die Frage, ob irgend jemand etwas verstanden hat und für ein Phänomen eine plausible Erklärung bereithält, die über den Status einer praxisrelevanten Meinung oder generalisierten Erfahrung hinausreicht. Gerade das Wissen, das angeblich die Wissensgesellschaft auszeichnet, das wissenschaftliche Wissen, gehorcht zumindest nach der Systemtheorie jener Codierung von wahr und falsch, die ihre Adepten nun einziehen möchten. Der Verzicht auf das, was man den Wahrheitsbezug des Wissens nennen könnte – in welcher Form wissenschaftlicher Theorie und Praxis er sich dann auch niederschlagen mag –, war bei Adorno noch Erscheinung von Halbbildung gewesen, da er nicht intendiert, sondern Ausdruck objektiven Unvermögens gewesen war. Nun wird der Verzicht auf Wahrheit programmatisch und damit zur Unbildung.
Richtig daran ist, daß Wahrheit, als Absolutum gedacht, zu einem verheerenden Ideologem werden kann; falsch daran ist die Attitüde des Konstruktivisten, auf Wahrheit sei auch als erkenntnisleitende Zielvorstellung zu verzichten. Solcher Verzicht ist die Voraussetzung dafür, daß Wissen nicht nach seinen eigenen Kriterien, sondern nach ihm äußerlichen Gesichtspunkten betrachtet und verwaltet werden kann. Die Ökonomisierung des Wissens hat seine Entschärfung zur Voraussetzung.
Wenn Wissen nur noch die praxisgesättigte Anwendung von Informationen für Unternehmen darstellt, ist es durch das Unternehmensziel und nicht mehr durch einen Wahrheitsanspruch definiert. Der damit eingeleitete Transformationsprozeß ist in seiner gesellschaftspolitischen und philosophischen Dramatik bisher wahrscheinlich nur unzulänglich erfaßt worden. Wissen und Bildung sind selbst kein Ziel mehr – wie fragwürdig dieses immer auch gewesen sein mag –, sondern ein Mittel, das keine weiteren Reflexionen verlangt, solange es sich nur als Mittel rechtfertigen läßt – für prosperierende Märkte, Qualifikationen für den Arbeitsplatz, Mobilität von Dienstleistungen, Wachstum der Wirtschaft. Nicht die gebildete Person, schon gar nicht der Weise, aber auch nicht der Gelehrte klassischen Typs sind in der Wissensgesellschaft als Zielvorstellungen permanent eingeforderten Wissenserwerbs denkbar, sondern
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