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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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Perspektive gehörte die Rechtschreibreform noch zu dem prekären Programm einer Bildungspolitik, die Chancengleichheit durch Senkung der Anforderungen erreichen wollte.
    Abgesehen davon, daß die ideologische Fixierung auf die Orthographie als Bildungsschranke in Zeiten elektronischer Korrekturprogramme von Anfang an ziemlich überflüssig war, haben sich dann bald alle Kräfte der Erneuerung – allen voran die Kultus- und Bildungsminister, dann natürlich die Wörterbuch- und Schulbuchverlage – zu einer Zeit auf diese Reform eingeschworen, als es undenkbar wurde, eine Reform zu sabotieren. Wo ständig der Mut zu Reformen als politische Maxime propagiert wird, wäre es geradezu feig erschienen, sich dieser Reform zu verweigern. Konservative Politiker, denen diese Reform ein Greuel hätte sein müssen, tappten deshalb genauso in diese Reformfalle wie Sozialdemokraten, die nicht davon ablassen wollten, in Zeiten gekürzter Sozialbudgets wenigstens im Symbolhaushalt etwas für die Schwachen zu tun. Tatsächlich erhöhte die Rechtschreibreform niemandes Aufstiegschancen, sie brachte keine Verbesserungen, dafür jede Menge sprachlicher Unsinnigkeiten, den Verlust von Präzision im Ausdruck, die Einebnung von sprachlichen Nuancen, allgemeine Verwirrung und ein häßliches Schriftbild, das ein weiteres Merkmal des Reformgeistes indiziert: Es mangelt ihm jeder ästhetische Sinn.
    Daß nun nach wenigen Jahren diese Reform reformiert werden mußte, entspricht der Logik der permanenten Reform. Resultat ist eine Zunahme der Beliebigkeit, und nur wer den Sinn einer Orthographie nicht verstanden hat, kann sich darüber freuen, daß nun jeder schreiben kann, wie er will, und daß das Schriftbild eines durchschnittlichen Werbetextes ungefähr denselben Anblick bietet wie eine Flugschrift zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Aber, und das ist entscheidend: Man war modern, man war reformfreudig und vor allem, man hat daran verdient.
    Die Gewinner dieser Reform sind die Wörterbuch- und Schulbuchverlage, die Sprachratgeber und die Vertreiber von Konvertierungssoftware. Da niemand im Chaos leben kann, werden Institutionen, die durch Reformen chaotisiert werden, in der Regel von privaten Ordnungskräften wieder stabilisiert. Das ist im Bereich von Bildung und Kultur nicht anders als bei der öffentlichen Sicherheit. Für die einen bedeutet dies zusätzliche Kosten, für die anderen unerwartete Gewinne. Auch die Rechtschreibreform erweist sich unter dieser Perspektive als ein Moment jener Entwicklung, die hinter dem Reformwillen steht: die Privatisierung der öffentlichen Angelegenheiten.
    Der Reformfanatiker will die permanente Reform. Das hält die Menschen auf Trab und hindert sie daran, das zu tun, was der Reformer angeblich von ihnen erwartet. Vor allem ist die Einbindung in einen Reformprozeß die beste Möglichkeit, um jedes Denken lahmzulegen. Die Universitätsreformen sind dafür ein blendendes Beispiel. Wer das Glück hatte, die letzten 15 Jahre an einer österreichischen Universität tätig zu sein, war 15 Jahre davon mit der Universitätsreform beschäftigt. Vorerst hielt das Universitätsorganisationsgesetz (UOG) 93 – eine sogenannte »Jahrhundertreform« – alle in Atem, der vieldiskutierte Entwurf, dann das Gesetz, dann dessen aufreibende Implementierung, und nachdem die Universitäten endlich, wie man sagte, in das neue Gesetz »gekippt« waren – die Universität Wien im Jahre 2000 –, mußte es nach sage und schreibe zwei Jahren Laufzeit vom Universitätsgesetz 2002 (UG 02) abgelöst werden, ohne daß irgend jemand überprüft hätte, was an dem ohnehin gerade erst installierten Gesetz nicht funktionierte und deshalb verbessert werden müßte. Wohl sprechen alle ständig von Evaluation, aber wenn es opportun erscheint, kann man darauf offenbar verzichten.
    In Zeiten der permanenten Reform überdauern Jahrhundertgesetze gerade einmal einen Winter. Daß es eine ungeheure Verschwendung von materiellen und mentalen Ressourcen bedeutet, sieben Jahre lang die Reform einer Großinstitution vorzubereiten und durchzusetzen, die dann zwei Jahre in Kraft ist, verstehen ausgerechnet diejenigen nicht, die ansonsten mit dem Effizienzkriterium und dem Sparsamkeitsprinzip schnell bei der Hand sind.
    Eine Reform um der Reform willen braucht jedoch keine Gründe. Also werden Wissenschaftler dafür bezahlt, permanent eine Institution zu reformieren, anstatt ihre Energie in Lehre und Forschung zu stecken; gleichzeitig wird ihnen

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