Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
Universitäten um gutes Geld testen, evaluieren, beraten und jene Zertifikate vergeben werden, die vor Jahren, als es noch verbindliche Lehr- und Studienpläne gab, mit jedem Zeugnis ohne großen Aufwand gegeben waren. Und natürlich wird angesichts der neuen Unübersichtlichkeit der Ruf nach privaten Eliteschulen, die das halten, was man sich von Schule einmal versprochen hat, immer lauter. Auf die Idee, in den Schulreformen der vergangenen Jahre eine Ursache für die Misere der Gegenwart zu sehen, kommt mittlerweile niemand mehr.
Reformen verlaufen deshalb nie im Sand, sondern sind dann am erfolgreichsten, wenn sie das vielbeklagte Chaos erreicht haben. Denn ein hauptsächlicher Sinn aller Reformen besteht darin, bestehende Rechtsverhältnisse aufzulösen, altmodische Verträge durch moderne »Vereinbarungen« zu ersetzen, aus öffentlichen Institutionen, wie gut auch immer sie funktioniert haben mögen, eine Spielwiese für Interessengruppen, Agenturen, Klüngel und Investoren zu schaffen. Hinter der Rhetorik der Reformen zeichnet sich mitunter ein eindeutiger Sinn derselben ab: Aus öffentlichem Eigentum soll Privateigentum, aus öffentlichen Angelegenheiten sollen Privatangelegenheiten werden. Die res publica hält der Reformer dann am besten gewahrt, wenn sie zu einer res privatageworden ist. Ohne es immer so klar wie Bernard Mandeville in seiner Bienenfabel zu formulieren, ist der reformfreudige Zeitgeist davon überzeugt, daß die Verfolgung privater Laster durch die unsichtbare Hand des gnädigen Marktes stets in öffentliche Tugenden mündet. Nicht immer, aber manchmal unterschätzt diese Reformfreude dann das Laster, und gerne überschätzt es die Selbstheilungskraft des Marktes.
Was am Bildungsbereich exemplarisch sichtbar wurde, läßt sich als Tendenz generell beschreiben: Politik, die dem Markt die Regeln vorgeben sollte, wird selbst zu einem Spielfeld für Lobbys, die parlamentarische Kontrolle wird zurückgedrängt, die Verantwortung demokratisch legitimierter Institutionen auf »unabhängige« Räte und Gremien ausgelagert; anstelle eines öffentlichen Diskurses treten die Ranglisten von Bewertungsagenturen, und während manche noch von der Zivilgesellschaft träumen, wird Demokratie auf ein Voting-Spektakel reduziert, das sich medial nahtlos in die diversen Votings der Casting-Shows einfügt.
Nicht nur im Bildungsbereich werden heute Reformen mit großer geschichtsphilosophischer Geste durchgesetzt. Wo Europa und die Globalisierung winken, kann es sich nach den offiziösen Sprachregelungen nur um eine historische Notwendigkeit handeln. Daß alle diese Reformen, bis hin zur Schließung von ländlichen Grundschulen, mittlerweile mit dem Hinweis auf den globalen Wettbewerb vorangetrieben werden, entbehrt nicht einer gewissen Lächerlichkeit. Aber der Verweis auf den ökonomischen Druck, unter dem alles steht, hat den Vorteil, daß fast niemand es wagt, diese Stehsätze in Frage zu stellen. Wettbewerb und Standortsicherung stechen immer. Ohne es zu wissen, steht diese Apotheose des Marktes fest auf dem Boden der Marxschen Kapitalismustheorie, denn sie geht davon aus, daß die Ökonomie alle anderen Lebensbereiche dominiert, alles nach den ehernen Gesetzmäßigkeiten des Marktes abläuft und letztlich nur diejenigen eine Chance haben, die ohne viel zu fragen dem Geist der Zeit und der Gunst der Stunde folgen. Wohl gehören Autonomie und Liberalisierung zu den Schlagworten auch der Bildungsreformer, aber damit sind offenbar nicht Selbstbestimmung und Freiheit gemeint, sondern ein immer enger werdendes Netz von Kontrollen und ein zunehmender Mangel an Optionen.
Nicht zuletzt am Bildungsbereich läßt sich ablesen, daß wir uns anstelle einer Wissensgesellschaft rasant auf eine Kontrollgesellschaft zubewegen. Fast alles, was gegenwärtig unter dem Begriff »Autonomie« verhandelt wird, gehorcht dem Imperativ einer solchen sozialen Formation: Herrschaft durch Selbststeuerung. Niemandem wird etwas befohlen; alles, was geschieht, geschieht freiwillig. Aber die Zeiten, die Vorgaben und der Wettbewerb verlangen eben ein dichtes Netz von Kontrollen, Evaluationen, Überprüfungen, Anpassungen an Zielvorgaben, Leistungsvereinbarungen und Steuerungsmechanismen, was die Freiheit der Wissenschaft nicht einmal mehr als eine Absichtserklärung erscheinen läßt. Es ist einigermaßen absurd, daß zu den gängigsten Redewendungen eines Zeitgeistes, der sich einem liberalen Weltbild verpflichtet fühlt, der Satz
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