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Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Titel: Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kurzke
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von Aschenbach überließ, hatte er nicht zustande gebracht, Nationaldichter war er bis dahin nicht geworden. Der
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull
war er überdrüssig und ließ sie 1913 zugunstendes
Zauberbergs
liegen, der aber, damals noch als parodistische Fortsetzung des
Tod in Venedig
geplant, auch nichts wirklich Neues bot. Da kam der Krieg. Thomas Mann versteht ihn sofort auch als Künstler. Er weiß sogleich, noch im August 1914: Das wird der Schluß des
Zauberberg
![ 3 ] Seit er erkannt hat, daß Deutschland das Land der Musik und der Metaphysik ist, unpolitisch-inner lich, dem Fortschritt abgewandt,[ 4 ] daß Deutschland also seine Sache ist, sein Größenselbst gewissermaßen, hat er nie mehr unter Stoffmangel gelitten. Auch das ist ein Grund für seine Kriegsbejahung.
    Die Zustimmung blieb noch ein paar Jahre, die Begeisterung verrauschte. Thomas Mann begann sich zu schämen, weil er pathetisch geworden war, also, wie er im
Tonio Kröger
selbst verkündet hatte, als Künstler dilettantisch. Spätestens 1917, als der Blutzoll immer höher wurde und der Krieg ohne sichtbare Fortschritte in den Gräben versumpfte, bekannte er ein: «Der Krieg ist überlebt und verrottet, das weiß ich; aber» – ein Einwand folgt: seelisch bleibt 1914 hängen – «als er jung war, als er einbrach und den ‹Frieden› hinwegfegte, – war nicht im Gegenteil damals Deutschland auf einen heiligen Augenblick
schön
?»[ 5 ] Es hatte damals geschienen, als ob «das Leben sich huldigend vor dem Geiste neigte»[ 6 ], so als hätte Hans Hansen Tonio Kröger geküßt, und als wäre die Sehnsucht des Künstlers nach dem Leben in Erfüllung gegangen. In Wirklichkeit war Thomas Mann im Kriege einsam wie nie. Sogar der große Bruder kam ihm abhanden.
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Heinrich Mann
    Mit dem Bruder hatte es immer wieder erbitterte Auseinandersetzungen gegeben, teils mündlich, teils brieflich, teils literarisch. Schon der Fa milien roman bringt es auf den Punkt. «Ich bin geworden wie ich bin», sagt Thomas Buddenbrook dort zu seinem Bruder Christian, «weil ich nicht werden wollte wie du.» Und er fügt noch hinzu: «Wenn ich dich innerlich gemieden habe, so geschah es, weil ich mich vor dir hüten muß, weil dein Sein und Wesen eine Gefahr für mich ist.»[ 7 ] Der eine ist ein sorgfältig gepflegter Bürger, der andere ein verlotterter Bohemien, der seinen Lüsten freien Lauf läßt. Das stimmte nicht ganz mit der Wirklichkeit überein, war aber auch nicht rein erfunden. Die reale Brüderkonstellation wird im dichterischen Werk aus immer neuen Blickwinkeln gespiegelt. Thomas Mann ist ein Asket wie sein Savonarola (in
Fiorenza
), Heinrich aber wird die Rolle Lorenzo de Medicis, des schönheitsverliebten Renaissancefürsten und kultivierten Genießers, zugewiesen. In
Königliche Hoheit
stilisiert sich Thomas als Prinz Klaus Heinrich, der das Leben liebt, und den Bruder Heinrich als Prinz Albrecht, der aus lauter Vornehmheit aufs Regieren verzichtet.
    Zehn Jahre lang, seit einem nur mühsam gekitteten Zerwürfnis vom Dezember 1903, als Thomas seines Bruders Roman
Die Jagd nach Liebe
gekonnt und gnadenlos hingerichtet hatte, hatte die Aus einander set zung mit dem Bruder nicht mehr offen geführt werden können. Der Kriegsausbruch nahm auch von diesem Topf den Deckel und entließ einlange angestautes Gemisch aus Empörung und Neid und Kritik in die Freiheit. Mehrere Jahre lang sah Thomas Mann in seinem Bruder den inneren Feind Deutschlands. Nachdem er noch im September 1914 vom «großen, grundanständigen, ja feierlichen Volkskrieg»[ 8 ] geschwärmt hatte, den Bruder arglos auf der gleichen Seite wähnend, muß es im Oktober 1914 zu einer streitbaren Auseinandersetzung gekommen sein, die eine siebenjährige Funkstille nach sich zog.
    Wirklich schweigen konnten freilich beide nicht. Heinrich veröffentlichte Ende 1915 den großen Essay
Zola
, in dem er in eine Darstellung französischer Verhältnisse des späten 19. Jahrhunderts eine grandiose und raffinierte Abrechnung mit Thomas hineinschmuggelte. Das begann mit Sticheleien wie: Ästhetizismus sei immer schon der Vorbote politischer Laster gewesen,[ 9 ] setzte sich mit Seitenhieben fort auf die, die sich «immer in feiner Weise zweifelnd verhielten gegen so grobe Begriffe wie Wahrheit und Gerechtigkeit»,[ 10 ] und prügelte dann gewaltig auf den namentlich nicht genannten Bruder ein:
    Der ganze nationalistische Katechismus, angefüllt mit Irrsinn und Verbrechen, – und der ihn

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