Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
Wunderreiche der Nacht. Süße Nacht! Ewige Liebesnacht! Alles umspannendes Land der Seligkeit! Wer dich ahnend erschaut, wie könnte er ohne Bangen je zum öden Tage zurückerwachen? Banne du das Bangen, holder Tod! Löse du nun die Sehnenden ganz von der Not des Erwachens! O fassungsloser Sturm der Rhythmen! O chromatisch empordrängendes Entzücken der metaphysischen Erkenntnis! Wie sie fassen, wie sie lassen, diese Wonne fern den Trennungsqualen des Lichts? Sanftes Sehnen ohne Trug und Bangen, hehres, leidloses Verlöschen, überseliges Dämmern im Unermeßlichen![ 9 ]
Die Faszination für das Werk Richard Wagners wird Thomas Mann bis ins Alter begleiten. Immer wird er Wagner zugleich mißtrauen, mit einem durch Nietzsche geschärften Blick. Daß die Musik politisch verdächtig und unzuverlässig sei, bestätigt sich später durch den Nationalsozialismus, dem sich die unpolitische deutsche musikalische Kultur so widerstandslos ausgeliefert hat. Das wird ein Thema des großen Musikerromans
Doktor Faustus
sein.
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Samuel Fischer
Thomas Mann war fünfzig Jahre verheiratet, aber noch länger, 58 Jahre, von 1897 bis 1955, währte die Ehe mit seinem Verlag. Samuel Fischer hatte mit sicherem Gespür für das Kommende einen Exklusivvertrag mit Thomas Mann gemacht: Der Autor erhielt ein sehr gutes Honorar, der Verleger dasVerlagsrecht für alles Kommende, zunächst auf fünf Jahre, doch wurde die Vereinbarung immer wieder verlängert. Der S. Fischer Verlag war damals die beste Adresse, die es gab. Er war 1886 von Samuel Fischer in Berlin gegründet worden und bald zum führenden Verlag des Naturalismus und der klassischen Moderne aufgestiegen.
Die schwerste Krise, die es zwischen Thomas Mann und seinem Verlagshaus gab, hing mit den Zeitumständen zusammen. 1936 wurde der Verlag, der inzwischen von Samuel Fischers Schwiegersohn Gottfried Bermann Fischer geleitet wurde, zu einer Teilung gezwungen. Bermann mußte mit den politisch unerwünschten Autoren des Verlags, darunter Thomas Mann, ferner jüdischen Autoren wie Arthur Schnitzler oder Jakob Wassermann, das Deutsche Reich verlassen, siedelte sich erst in Wien an, dann, nach dem Anschluß Österreichs, 1938 in Stockholm, ab 1940 dann in New York. Der erlaubte Teil des Verlags blieb unter Leitung von Peter Suhrkamp in Berlin und konnte dort weiter Autoren wie Gerhart Hauptmann oder Hermann Hesse verlegen. Der heutige Suhrkamp Verlag ist ein Ergebnis des Umstands, daß es nach dem Krieg nicht gelang, die beiden Verlagsteile wieder zu vereinigen. 1938 wollte Thomas Mann aus damals guten Gründen abspringen, aber wider alles Erwarten gelang es Bermann, der alles verloren hatte außer dem Rechtepaket, im Exil trotz einer Folge von persönlichen und geschäftlichen Katastrophen das Unternehmen wieder flottzumachen. Thomas Mann hielt ihm letzten Endes dann doch die Stange.
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Buddenbrooks
Der Untertitel des Romans lautet «Verfall einer Familie». Das Thema war sehr zeitgemäß, denn Verfall, Degeneration, Dekadenz waren markante Stichworte der Zeit und sind treffend bis heute.
Buddenbrooks
zeigt das Dekadentwerden einer Lübecker Kaufmannsfamilie im Verlauf von vier Generationen. In vier Schritten folgen aufeinander Aufklärung, Religion, Künstlertum und Tod. Die erste Generation, repräsentiert durch Johann Buddenbrook den Älteren, ist auf eine naiv-unreflektierte Weise aufgeklärt – vernünftig, irreligiös, pragmatisch und erfolgreich. Die zweite, repräsentiert durch Johann (Jean) Buddenbrook den Jüngeren, ist bereits weicher, nachdenklicher und religiös engagiert – was gelegentlich unvernünftige Kosten verursacht. Die dritte Generation spaltet sich in das Brüderpaar Thomas und Christian. Der eine ist ein tüchtiger Kaufmann, der andere (Christian) ein Hanswurst. Im Grunde aber sind beide dekadent, sind beide nur noch Künstler, denn auch Thomas ist kein naiv an seine Sache glaubender Kaufmann mehr, sondern nur noch ein Schauspieler, der das Kaufmannsein perfekt inszeniert, aber mit nicht einmal fünfzig Jahren vor Überanstrengung zusammenbricht. In der vierten Generation erreicht die Verfeinerung einen tödlichen Grad. Hanno Buddenbrook, klug und kränklich, musikalisch und übersensibel, ohne jeden Sinn für Kaufen und Rechnen, stirbt mit fünfzehn Jahren am Typhus.
Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, der Idealismus der Goethezeit und in gewissem Grade auch noch der Realismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundertshatten oft vom
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