Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
predigt, ist euer eigener Ehrgeiz, dürftiger noch, eure Eitelkeit. Entschiede sich das Schicksal eures Volkes etwa nicht durch laute patriotische Abenteuer, sondern in innerer Arbeit, innerem Fortschritt, was würde euch übrigbleiben, als dienend mitzuarbeiten, mit fortzuschreiten dienend. Aber ihr seid nicht zu dienen da, sondern zu glänzen und aufzufallen. Nur kein mißliebiges Wort dem mitlebenden Geschlecht, von dem eure Geltung abhängt; es vielmehr verwechseln mit dem Volk, dem ewigen Volk; und aus den Lastern undIrrtümern dieses zufälligen Geschlechtes womöglich ein Heldengedicht des ewigen Volkes machen. Durch Streberei Nationaldichter werden für ein halbes Menschenalter, wenn der Atem so lange aushält; unbedingt aber mitrennen, immer anfeuernd, vor Hochgefühl von Sinnen, verantwortungslos für die heranwachsende Katastrophe, und übrigens unwissend über sie wie der Letzte![ 11 ]
Thomas liest das im Januar 1916, übernimmt die Technik und schlägt in den
Betrachtungen eines Unpolitischen
verzehnfacht zurück. Heinrich figuriert dort als «der Zivilisationsliterat», der innere Franzose, Fortschrittsrhetoriker, Neopathetiker, politische Ästhetizist und national bodenlose Menschheitsenthusiast. Sein Name wird nicht genannt, obgleich aus seinen Schriften, insbesondere aus dem Zola-Essay, weit über hundert Zitate entnommen werden.
Heinrich Mann hatte die Kriegsbegeisterung keinen Augenblick geteilt und gehörte damit einer winzigen Minderheit unter den deutschen Intellektuellen an. Nicht nur seine tiefverwurzelte Frankophilie hatte ihn davor bewahrt, sondern die sozialpsychologische Analyse des Kaiserreichs, die er mit seinem Roman
Der Untertan
vorgenommen hatte. Er kannte die Mächte, die am Kriege interessiert waren, und romantisierte sie nicht wie sein Bruder. Er sah, daß nicht der Glaube an Ideale das deutsche Volk zusammengehalten hatte, sondern ein Paket aus Gewalt und Unterdrückung, Machtanbetung und Masochismus. Das hatte ihn gegen den Kriegsrausch immunisiert. Der Krieg eines solchen Reiches konnte nicht «grundanständig» sein.
Ein Versöhnungsversuch um die Jahreswende 1917/18 scheitert.[ 12 ] Wieder zeigt er Heinrich als den Überlegenen, weiter voraus Schauenden. Thomas braucht noch eine Weile, bis er erkennt, daß er ideologische Schimären für die Wirklichkeit gehalten hat. Aber er muß keineswegs alles preisgeben. Er hat als Mensch und Zeitgenosse etwas Wichtiges gelernt, kann aber sein Credo als Künstler bewahren. Der Krieg stellt sein ästhetizistisches Kunstgebäude in Frage, aber er stößt es nicht um. Thomas Mann wird sich politisieren, aber nur halb. Er wird zwar künftig politische Essays schreiben und sich für die Weimarer Republik einsetzen, aber in seine Dichtungen wird er die Politik nicht einlassen.
Als Heinrich Anfang 1922 lebensgefährlich erkrankt, kommt es zur Versöhnung. Thomas schickt Blumen ans Krankenbett und schreibt dazu am 31. Januar: «Es waren schwere Tage, die hinter uns liegen, aber nun sind wir über den Berg und werden besser gehen, – zusammen, wenn Dir’s ums Herz ist, wie mir.»[ 13 ] Von da an wird man die Brüder Mann politisch häufig gemeinsam agieren und meistens auf der gleichen Seite stehen sehen.
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Publikum
Thomas Mann brauchte Publikum. Er war ein wirkungshungriger Schriftsteller. Er studierte das Phänomen aber lieber an seinem Bruder als an sich selbst. «Es ist, meiner Einsicht nach, die Begierde nach Wirkung, die dich corrumpirt», hatte er 1903 an Heinrich geschrieben, weil dieser gehäuft mit erotischenEffekten arbeitete.[ 14 ] Heinrich schlug im Zola-Essay zurück: «Aber ihr seid nicht zu dienen da, sondern zu glänzen und aufzufallen.» Beide werfen einander Wirkungssucht vor. Ausschlaggebend ist die Rolle des Publikums. Sei es auch noch so klein: Der Künstler verstellt sich sofort, wenn irgend jemand da ist. Rhetorisch fragt Thomas Mann den Typus des politisierten Literaten: «Ist so ein Rhetor-Dema gog denn niemals allein? Immer auf dem ‹Balkon›? Kennt er keine Einsamkeit, keine Selbstbezweiflung, keine Sorge und Qual um seine Seele und um sein Werk, keine Ironie gegen den Ruhm, keine Scham vor der ‹Verehrung›?»[ 15 ]
Es geht darum, ob man vor dem Forum internum schreibt, lediglich seinem Gewissen verpflichtet, oder vor dem Forum externum, also auf Wirkung zielend, glänzen wollend, rhetorisch und forensisch. Die Fragestellung ist seit der Antike bekannt, war aber durch die Kunstreligion der deutschen
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