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Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Titel: Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kurzke
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Klassik neu gestellt worden und spitzte sich im Ästhetizismus der Décadence aufs äußerste zu. Wenn es nicht mehr um die Beeinflussung der Gesellschaft ging, sondern radikal nur noch um die Kunst, l’art pour l’art, dann war jeder Publikumserfolg verdächtig. «Der Massenerfolg ist nicht mehr auf Seite der Echten, man muß Schauspieler sein, ihn zu haben.» Das schrieb Nietzsche im
Fall Wagner.
[ 16 ] Wagner ist aus Nietzsches Sicht ein Pharisäer, der sein Werk um des Beifalls willen schafft. Er schafft Artefakte, um gesehen zu werden, nicht das Echte, das ohne Publikum aus sich heraus wahrhaftig ist. Der wahre Künstler dürfte kein Rhetor sein. Er müßte allein schreiben, im Verborgenen,nicht auf dem Balkon, ohne Blinzeln nach den Leuten, in Sorge und Qual um seine Seele, ironisch gegen Ruhm, beschämt von Verehrung, ohne Rollenspiel, ohne Wirkungssucht.
    Thomas Mann nennt Wagner einen Schauspieler des Deutschtums,[ 17 ] obgleich er damals selber ein Schauspieler des Deutschtums war. Er beherrscht die Rollen zwar, die er zu spielen gelernt hatte, aber er haßt sie zugleich. Im tiefsten Inneren gab es eine Sehnsucht, nur er selbst zu sein, keine Rolle zu spielen und nicht vor Publikum zu stehen. Aus dieser Sehnsucht seiner Seele heraus findet er Formulierungen wie die von der «Qual durch das unsäglich Kompromittierende und Desorganisierende alles Redens».[ 18 ] Die Kritik am Reden vor Publikum potenziert sich zu einer Kritik am Reden überhaupt. Er redet und redet, redet sich um den Hals, aber eigentlich will er schweigen, will ohne Worte sein, will angenommen werden, ohne daß er ständig mit dem Zeigefinger auf sich weisen muß. Nur in der Wortlosigkeit ist die Seele frei. Etwas in Worte fassen heißt schon: Macht über es ausüben, es der Gewöhnlichkeit ausliefern, im Extremfall es verraten, vergewaltigen, töten. «Sobald nämlich unser Denken Worte gefunden hat», sagt Schopenhauer, «ist es schon nicht mehr innig noch im tiefsten Grunde ernst.»[ 19 ] Denn es kommt das Publikum dazu, dem man etwas vorzaubert, mithin das Gesehenwerden, eine sublime Heuchelei. Die Pharisäerkritik, Grundelement einer christlichen Ästhetik, bleibt ein Maßstab Thomas Manns. Er brauchte den Balkon, obgleich er sich immer seiner schämte, und diese Scham immer ein KörnchenSalz für seine Eitelkeit bedeutete und den Stolz auf jeden noch so gekonnten Auftritt dämpfte.
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Betrachtungen eines Unpolitischen
    Das theoretische Hauptwerk Thomas Manns sind die
Betrachtungen eines Unpolitischen
, geschrieben von Herbst 1915 bis Frühjahr 1918, sechshundert Seiten stark. Der Krieg, verschärft durch den Angriff des Bruders, nötigt ihn zu einer Generalrevision. Wer bin ich? Wer bin ich biographisch, national, politisch, ethisch, religiös und ästhetisch?
    Die Antworten fallen sehr zweideutig aus. Der Thomas Mann der Weltkriegszeit gilt als nationalistisch und konservativ. Äußerungen, die ein solches Urteil stützen können, gibt es genug. Markante Definitionen scheinen die Parteien klar zu scheiden, so wenn es etwa heißt: «Der Unterschied von Geist und Politik enthält den von Kultur und Zivilisation, von Seele und Gesellschaft, von Freiheit und Stimmrecht, von Kunst und Literatur; und Deutschtum, das ist Kultur, Seele, Freiheit, Kunst und
nicht
Zivilisation, Gesellschaft, Stimmrecht, Literatur.»[ 20 ] Aber neben der lauten Stimme gibt es immer die leise, die weiß, daß ein Werk wie das seine nicht zu irgendeiner nationalen Bärenhäuterei gehört, sondern zur in ter nationa len Zivilisation. Diese leise Stimme hält den Kontakt nach rückwärts aufrecht, zur Internationalität und Liberalität der Vorkriegszeit, und bildet nach vorwärts die Brücke zum republikanischen und antifaschistischen Thomas Mann der Nachkriegszeit, den die Hitlerzeit als «undeutsch» brandmarken wird.Die
Betrachtungen eines Unpolitischen
sind insofern kein reaktionärer Ausrutscher, sondern wahren die grundlegenden Kontinuitäten. Die Überhitzung der Weltkriegsatmosphäre schmiedet zugleich radikale Erkenntnisse, die ohne Einseitigkeit nicht zu haben gewesen wären. Es ist (im Bereich der Essayistik) Thomas Manns fragwürdigstes, aber auch sein tiefstes Buch.
    Wer bin ich? Als intellektuelle Biographie angelegt ist das Kapitel 
Einkehr
. Thomas Mann schildert sich dort als Sohn des 19. Jahrhunderts und bekennt sich zu Schopenhauer, Nietzsche und Wagner als dem «Dreigestirn ewig verbundener Geister, das mächtig leuchtend am deutschen

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