Throne of Glass – Die Erwählte
drauf.« Durch die Maske klangen ihre Worte tief und gedämpft.
Sam, der sein attraktives Gesicht offen zur Schau trug, verschränkte die Arme und blickte finster drein. »Das wirst du nicht tun. Arobynns Brief ist versiegelt und dabei bleibt es auch.« Seine braunen Augen bohrten sich in ihre.
Sie waren beide nicht besonders begeistert gewesen, als Arobynn verkündet hatte, Celaena werde mit Sam zu den Dead Islands fahren. Besonders da Ben – dessen Leichnam Celaena tatsächlich geholt hatte – erst seit zwei Monaten unter der Erde lag. Der Schmerz über seinen Verlust hatte noch nicht wirklich nachgelassen.
Arobynn hatte Sam als ihren Begleiter bezeichnet, aber Celaena wusste, was seine Anwesenheit bedeutete: ein Aufpasser, damit sie kurz vor dem Treffen mit dem Piratenlord von Erilea nicht noch etwas anstellte. So eine Chance bekam man nur einmal im Leben. Allerdings hatten die winzige, bergige Insel und die heruntergekommene Hafenstadt sie bislang nicht besonders beeindruckt.
Sie hatte eine elegante Villa wie den Unterschlupf der Assassinen oder wenigstens eine alte Festung erwartet, aber der Piratenlord residierte in der Etage über einem eher zwielichtigen Wirtshaus. Die Zimmerdecken waren niedrig, die Holzdielen knarrten und der Raum war nicht nur eng, sondern auch drückend heiß, so wie überall auf den Inseln im Süden. Celaena lief der Schweiß in Strömen herab. Aber die Unannehmlichkeit lohnte sich: Auf ihrem Weg durch Skull’s Bay hatten sich bei ihrem Anblick viele Köpfe gedreht – der sich bauschende schwarze Umhang, die vornehme schwarze Kleidung und die Maske machten aus ihr ein dunkles Geheimnis. Ein wenig Einschüchterung konnte nie schaden.
Celaena trat an den hölzernen Schreibtisch, griff mit den schwarzenHandschuhen nach einem Blatt Papier und begann zu lesen. Ein Wetterbericht. Wie öde.
»Was tust du da?«
Celaena nahm das nächste Blatt. »Wenn es Seiner Piratheit nicht zuzumuten ist, für uns aufzuräumen, sehe ich nicht ein, warum ich nicht einen Blick darauf werfen soll.«
»Er kann jede Sekunde hier sein«, zischte Sam. Celaena hob eine aufgerollte Landkarte hoch, studierte die Pünktchen und Markierungen entlang der Küstenlinie ihres Kontinents. Unter der Karte funkelte etwas Kleines, Rundes. Sie ließ es in die Tasche gleiten, bevor Sam es bemerken konnte.
»Ach, sei still«, sagte sie und öffnete das Schränkchen an der Wand neben dem Schreibtisch. »Die Dielen knarren so laut, dass wir ihn schon eine Meile vorher hören.« Das Schränkchen war vollgestopft mit zusammengerollten Papieren, Schreibfedern, Münzen und sehr altem, sehr teuer aussehendem Brandy. Celaena nahm eine Flasche heraus und schwenkte die bernsteinfarbene Flüssigkeit im Sonnenlicht, das durch das winzige runde Fenster hereinfiel. »Drink gefällig?«
»Nein.« Sam drehte sich auf seinem Stuhl halb in Richtung Tür. »Stell das zurück. Sofort .«
Celaena hob den Kopf, schwenkte den Brandy noch einmal und stellte die Flasche ab. Sam seufzte. Unter ihrer Maske grinste Celaena.
»Wenn das hier sein persönliches Hauptquartier ist«, sagte sie, »kann er kein besonders guter Anführer sein.« Sam schrie beinahe auf, als Celaena sich in den riesigen Sessel hinter dem Schreibtisch fallen ließ, die Geschäftsbücher des Piraten aufschlug und darin zu blättern begann. Seine Handschrift war verkrampft und fast unleserlich, seine Unterschrift lediglich ein paar Kringel und Zacken.
Sie suchte eigentlich nichts Bestimmtes. Ihre Brauen hoben sichein wenig beim Anblick eines parfümierten lila Briefbogens, der von einer gewissen »Jacqueline« unterschrieben war. Sie lehnte sich zurück, legte die Füße auf den Tisch und begann zu lesen.
»Muss das sein, Celaena!«
Sie runzelte die Stirn, aber das konnte Sam ja nicht sehen. Die Maske und der Umhang waren eine unerlässliche Vorsichtsmaßnahme. So war es erheblich einfacher, unerkannt zu bleiben. Arobynns Assassinen hatten allesamt schwören müssen, das Geheimnis ihrer Identität für sich zu behalten – unter Androhung endloser Folter bis hin zum Tod.
Celaena schnaubte, obwohl es dadurch unter ihrer sowieso schon unerträglichen Maske nur noch heißer wurde. Das Einzige, was die Welt über Celaena Sardothien, Adarlans Assassinin, wusste, war, dass sie eine Frau war. Und dabei sollte es auch bleiben. Wie sonst könnte sie die Prachtstraßen von Rifthold entlangschlendern oder sich auf große Partys schmuggeln, indem sie sich für eine fremde
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