Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
schließlich in Panik geriet und seine Waffe ziehen wollte, ergriff die Frau blitzschnell seinen Arm und umklammerte ihn so fest, daß Hobbes sich sehr zurückhalten mußte, um nicht laut aufzuschreien vor Schmerz.
»Was machen Sie hier?« zischte sie, und eine Augenbraue zuckte.
»Wer, in Gottes Namen, sind Sie?« fragte Hobbes.
Ehe er sich’s versah, hatte sie ihm eine schallende Ohrfeige versetzt.
»Mein Name ist Grace Poole«, sagte Grace Poole. »Ich bin zwar nur eine Bediente, aber das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, den Namen des Herrn zu mißbrauchen. Sie gehören nicht hierher, das sehe ich an Ihrer Kleidung. Was wollen Sie?«
»Ich, ähm, arbeite für Mr. Mason«, stammelte er.
»Unfug«, erwiderte sie und starrte ihn feindselig an.
»Ich will Jane Eyre«, stotterte er.
»Das will Mr. Rochester auch«, sagte sie sachlich. »Aber er küßt sie erst auf Seite einhunderteinundachtzig.«
Hobbes warf einen Blick ins Zimmer. Die Irre tanzte gackernd und grinsend umher, während die Flammen auf Rochesters Bett von Sekunde zu Sekunde höher schlugen.
»Wenn sie nicht bald kommt, gibt es keine Seite hunderteinundachtzig.«
Grace Poole fixierte ihn mit bösem Blick.
»Sie wird ihn retten, wie sie ihn schon tausendmal gerettet hat und noch weitere tausend Mal retten wird. So war es immer, und so wird es bleiben.«
»Ach ja?« gab Hobbes zurück. »Wenn Sie sich da mal nicht gewaltig täuschen.«
Doch jetzt kam plötzlich die Irre aus dem Zimmer und stürzte sich mit ausgestreckten Krallen auf ihn. Mit einem wahnsinnigen Lachen, das ihm das Trommelfell zu zerreißen drohte, schlug sie ihm ihre scharfen, ungeschnittenen Fingernägel in die Wangen. Er jaulte vor Schmerz, und Grace Poole nahm Mrs. Rochester in den Schwitzkasten, drehte ihr den Arm auf den Rücken und zerrte sie mit sich zum Dachboden. An der Tür drehte sie sich noch einmal um und sagte zu Hobbes: »Denken Sie daran: So war es immer, und so wird es bleiben.«
»Und Sie wollen gar nichts unternehmen, um mich aufzuhalten?« fragte Hobbes ungläubig.
»Ich bringe die arme Mrs. Rochester jetzt nach oben«, antwortete sie. »So steht es geschrieben.«
Kaum war die Tür hinter ihr ins Schloß gefallen, wurde sein Augenmerk wieder auf das brennende Zimmer gelenkt. »Aufwachen! Aufwachen!« schrie eine Stimme. Und richtig: Eben kippte Jane im Nachthemd einen Krug Wasser über Rochesters reglose Gestalt.
Hobbes wartete, bis das Feuer aus war, zog seine Waffe und trat ins Zimmer. Die beiden blickten auf, und die »Elfen der Christenheit« erstarben auf Rochesters Lippen.
»Wer sind Sie?« fragten sie wie aus einem Munde.
»Ach, das würde zu weit führen. Glauben Sie mir!«
Hobbes nahm Jane am Arm und schleifte sie mit sich auf den Flur.
»Edward! Mein Edward!« flehte Jane und streckte die Arme nach Rochester aus. »Ich werde dich nicht verlassen, Geliebter!«
»Moment mal«, sagte Hobbes und hielt inne. »Aber ihr beiden seid doch noch gar nicht verliebt!«
»Irrtum«, murmelte Rochester und zog eine Perkussionspistole unter seinem Kopfkissen hervor. »Ich hatte bereits vermutet, daß so etwas geschehen würde.« Er nahm Hobbes ins Visier und drückte ab. Doch die große Bleikugel verfehlte ihr Ziel und blieb im Türrahmen stecken. Hobbes gab einen Warnschuß ab; Hades hatte ausdrücklich darauf bestanden, daß die Romanfiguren unversehrt blieben.
Rochester zog eine zweite Pistole und spannte den Hahn.
»Lassen Sie sie los«, rief er, sein Unterkiefer mahlte, und sein dunkles Haar hing in feuchten Strähnen in sein Gesicht.
Hobbes hielt Jane wie einen Schutzschild vor sich.
»Machen Sie keinen Quatsch, Rochester! Wenn alles glattgeht, bekommen Sie Jane umgehend wieder; Sie werden nicht mal merken, daß sie weg war!«
Hobbes zerrte Jane rückwärts über den Flur, bis zu der Stelle, wo sich jeden Augenblick das Prosa-Portal öffnen würde. Rochester folgte ihm, die Pistole im Anschlag, und mußte schweren Herzens mit ansehen, wie seine einzig wahre Liebe kurzerhand aus dem Roman entfernt und an jenen
anderen
Ort verbracht wurde, wo Jane und er niemals so würden leben können wie in Thornfield. Hobbes und Jane verschwanden durch das Portal, das sich jäh hinter ihnen schloß.
Rochester ließ seine Waffe sinken und starrte düster vor sich hin.
Kurz darauf waren Hobbes und eine zutiefst verwirrte Jane durch das Prosa-Portal gestürzt und im heruntergekommenen Rauchsalon des alten Penderyn-Hotels gelandet.
Acheron half Jane
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