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Theo Boone und der unsichtbare Zeuge

Theo Boone und der unsichtbare Zeuge

Titel: Theo Boone und der unsichtbare Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Eins
    Theodore Boone war Einzelkind und frühstückte deswegen meist allein. Sein Vater, ein viel beschäftigter Anwalt, ging früh aus dem Haus, weil er sich jeden Morgen um sieben in einem Diner in der Innenstadt mit Freunden traf, um seinen Kaffee zu trinken und den neuesten Tratsch zu erfahren. Theos Mutter, selbst eine viel beschäftigte Anwältin, wollte seit zehn Jahren zehn Pfund abnehmen und hatte deswegen beschlossen, dass Kaffee und die Zeitung zum Frühstück reichten. Also saß Theo allein am Küchentisch, aß seine Cornflakes mit kalter Milch und trank seinen Orangensaft, ohne dabei die Uhr aus den Augen zu lassen. Bei den Boones gab es überall Uhren, wie es sich für eine gut organisierte Familie gehörte.
    Ganz allein war er jedoch nicht. Der Hund neben seinem Stuhl leistete ihm Gesellschaft. Judge war eine undefinierbare Promenadenmischung, deren Alter und Herkunft wohl für immer ein Rätsel bleiben würden. Theo hatte ihn zwei Jahre zuvor mit seinem Auftritt vor Gericht in letzter Sekunde vor dem sicheren Tod gerettet, was ihm Judge nie vergessen würde. Genau wie Theo mochte er am liebsten Cheerios mit Vollmilch– bloß nicht mit fettarmer Milch–, und so frühstückten sie jeden Morgen gemeinsam schweigend.
    Um acht wusch Theo das Geschirr im Spülbecken aus, stellte Milch und Saft in den Kühlschrank zurück, ging ins Fernsehzimmer und küsste seine Mutter auf die Wange.
    » Ich muss los«, sagte er.
    » Hast du Geld fürs Mittagessen?«, fragte sie– eine Frage, die sie ihm fünfmal pro Woche stellte.
    » Wie immer.«
    » Und die Hausaufgaben?«
    » Alles unter Kontrolle, Mom.«
    » Wann sehe ich dich?«
    » Ich komme nach der Schule in die Kanzlei.« Theo ging nach der Schule immer in die Kanzlei, an jedem einzelnen Tag, aber Mrs. Boone fragte trotzdem jeden Morgen.
    » Pass auf dich auf«, sagte sie. » Und vergiss nicht: Immer lächeln.«
    Theo trug seit mittlerweile über zwei Jahren eine Zahnspange und sehnte sich verzweifelt danach, das Ding endlich loszuwerden. Da das aber noch dauerte, fühlte sich seine Mutter verpflichtet, ihn ständig daran zu erinnern, dass ein Lächeln Sonnenschein in die Welt brachte.
    » Ich lächle doch, Mom.«
    » Hab dich lieb, Teddy.«
    » Ich dich auch.«
    Theo, der immer noch lächelte, obwohl sie ihn » Teddy« genannt hatte, schnallte sich schwungvoll seinen Rucksack auf den Rücken, kraulte Judge am Kopf und verabschiedete sich. Dann lief er durch die Küchentür nach draußen, schwang sich aufs Rad und flitzte durch die Mallard Lane, eine schmale Straße mit vielen Bäumen im ältesten Teil der Stadt. Er winkte Mr. Nunnery zu, der es sich bereits auf der Veranda gemütlich machte, von wo aus er den lieben langen Tag das bisschen Verkehr beobachtete, das sich ins Viertel verirrte. An Mrs. Goodloe, die am Straßenrand stand, sauste Theo wortlos vorbei, weil sie so gut wie taub war und auch so nicht mehr viel mitbekam. Dafür warf er ihr ein Lächeln zu, das sie jedoch nicht erwiderte, weil ihr Gebiss irgendwo im Haus lag.
    Der Frühling hatte gerade erst begonnen, und die Luft war klar und kühl. Theo trat so kräftig in die Pedale, dass der Wind in seinem Gesicht brannte. Um 8.40 Uhr musste er im Klassenzimmer sein, und er hatte vor der Schule noch wichtige Dinge zu erledigen. Er nahm eine Abkürzung durch eine Seitenstraße, schoss durch eine Passage, wich ein paar Autos aus und überfuhr ein Stoppschild. Für ihn war es ein Heimspiel, die Strecke fuhr er jeden Tag. Vier Straßen weiter wurden die Wohnhäuser von Büros und Geschäften abgelöst.
    Das Gericht war das größte Gebäude in der Innenstadt von Strattenburg, gefolgt von der Post und der Bücherei. Majestätisch thronte es auf der Nordseite der Main Street, auf halbem Weg zwischen einer Brücke über den Fluss und einem Park mit Pavillons, Vogelbädern und Kriegerdenkmälern. Theo liebte das Gerichtsgebäude mit seiner Aura der Autorität, den mit wichtiger Miene umherhastenden Menschen und den Anschlagtafeln mit ihren bedeutungsschweren Mitteilungen und Sitzungsplänen. Vor allem aber liebte er die Sitzungssäle selbst. Für Sachen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Geschworene verhandelt wurden, standen kleinere Räume zur Verfügung, aber es gab auch einen großen Saal im ersten Stock, in dem Staatsanwälte und Verteidiger miteinander rangen wie Gladiatoren und die Richter herrschten wie Könige.
    Theo war dreizehn und hatte noch nicht entschieden, was er werden wollte.

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