Tief im Herzen: Roman (German Edition)
des Schlages ließ Cams Kopf zurückschnellen, und er taumelte rückwärts. Doch er fing sich schnell wieder. Er nickte mit drohend funkelnden Augen. »Na, dann komm.«
Phillip, dem das Blut in den Ohren rauschte, wollte seine Jacke ausziehen. Doch der Angriff kam blitzschnell, still und aus dem Hinterhalt. Er hatte kaum Zeit, eine Verwünschung hervorzustoßen, bevor er vom Steg ins Wasser fiel. Als er wieder auftauchte, spuckte er Wasser und schob sich das nasse Haar aus den Augen. »Mistkerl. Du verdammter Mistkerl.«
Ethan hatte die Daumen in die Taschen gehakt und musterte ihn. »Reg dich ab«, forderte er ihn völlig beherrscht auf.
»Der Anzug ist von Hugo Boss«, stieß Phillip hervor, als er zum Anlegesteg schwamm.
»Das ist mir schnurzegal.« Ethan warf Cam einen Blick zu. »Sagt dir das was?«
»Es sagt mir, daß er eine hohe Rechnung von der Reinigung bekommen wird.«
»Du auch«, meinte Ethan und schubste Cam ebenfalls ins Wasser. »Dies ist weder die Zeit noch der Ort, sich zu schlagen. Also, wenn ihr beide aus dem Wasser gestiegen und wieder trocken seid, diskutieren wir das aus. Seth habe ich für eine Weile mit Grace weggeschickt.«
Cam kniff die Augen zusammen und strich sich das Haar aus der Stirn. »Also hast du hier plötzlich das Kommando.«
»Sieht so aus, als wäre ich der einzige, der sich nicht naßgemacht hat.« Mit diesen Worten drehte Ethan sich um und schlenderte zum Haus zurück.
Cam und Phillip klammerten sich gleichzeitig am Steg
fest. Sie tauschten einen langen, intensiven Blick, dann seufzte Cam. »Wir werfen ihn später hinein«, beschloß er.
Phillip nickte zum Zeichen, daß er die Entschuldigung annahm. Er zog sich auf den Anlegesteg hinauf und löste seinen ruinierten Seidenschlips. »Ich habe ihn auch geliebt. So wie du. Wie man ihn nur lieben konnte.«
»Ja.« Cam riß sich die Schuhe von den Füßen. »Ich kann’s nicht ertragen.« Dieses Geständnis kam ihm, der gern gefährlich lebte, nur schwer über die Lippen. »Ich wollte heute nicht kommen. Ich wollte nicht dastehen und zusehen, wie man ihn in die Erde hinunterläßt.«
»Du warst aber da. Das ist alles, was ihn interessiert hätte.«
Cam zog seine Socken und seine Jacke aus, nahm seinen Schlips ab und spürte die Kälte des Frühlingsanfangs. »Wer hat dir davon erzählt – wer hat dir all diese Dinge über Dad gesagt?«
»Grace. Ihr ist der Klatsch zu Ohren gekommen, und sie hielt es für das beste, daß wir erfahren, was geredet wird. Heute morgen hat sie es mir und Ethan gesagt und dabei geweint.« Phillip hob eine Braue. »Meinst du immer noch, ich hätte ihr den Mund stopfen sollen?«
Cam stellte seine ruinierten Schuhe auf den Rasen. »Ich möchte bloß wissen, wer damit angefangen hat, und warum.«
»Hast du dir Seth richtig angesehen, Cam?«
Der Wind ging ihm durch Mark und Bein. Das war bestimmt der Grund, warum er sich am liebsten geschüttelt hätte. »Sicher habe ich ihn mir angesehen.« Cam drehte sich um und steuerte aufs Haus zu.
»Dann sieh noch mal genauer hin«, murmelte Phillip.
Als Cam zwanzig Minuten später die Küche betrat, wieder warm und trocken in Pullover und Jeans, hatte Ethan Kaffee aufgebrüht und Whisky bereitgestellt.
Es war eine große Wohnküche mit einem langen Holztisch in der Mitte. Den abgenutzten weißen Arbeitsflächen
war ihr Alter anzusehen. Vor einigen Jahren hatte der altmodische Herd ersetzt werden sollen. Dann war Stella krank geworden, und das Vorhaben war in Vergessenheit geraten.
Auf dem Tisch stand eine große, flache Schale, die Ethan in seinem vorletzten Jahr an der High School im Werkunterricht geschnitzt hatte. Sie stand dort seit dem Tag, an dem er sie mit nach Hause gebracht hatte. Sie diente als Ablage für Briefe, Zettel oder irgendwelchen Kleinkram anstatt des Obstes, für das sie eigentlich gedacht war. Drei breite, vorhanglose Fenster befanden sich an der rückwärtigen Wand und ermöglichten den Blick auf den Hof und das Wasser.
Die Türen des Schrankes bestanden aus Glas, und das ordentlich aufgestapelte Geschirr darin war aus schlichter weißer Keramik. So ordentlich, dachte Cam, wie der Inhalt sämtlicher Schubladen. Darauf hatte Stella immer bestanden. Wenn sie einen bestimmten Löffel brauchte, wollte sie nicht lange danach suchen müssen.
Auf dem Kühlschrank fanden sich Fotos und Zeitungsausschnitte, Notizzettel, Ansichtskarten und Kinderzeichnungen, die alle wahllos hier und da mit bunten Magneten befestigt worden
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