Tief im Hochwald - Kriminalroman
dir?«
»Ich hab ja mein ganzes Land verkauft, als es Bauland werden sollte, und Tiere habe ich auch keine mehr, ich brauche keinen Referendar, der zu mir in die Lehre kommt.«
Der Pastor blickte auf die Uhr. »Er muss sich aber schon beeilen, wenn er noch vor Mitternacht hier sein möchte. Wo kommt der denn her?«
»Ich weiß es nicht. Er wollte nach Süddeutschland, sagte, er sei hier für den Bezirk zuständig und hätte vorher einen Termin in Hermeskeil, da habe er aber kein Zimmer mehr bekommen und ob wir etwas frei hätten. Mehr hat er mir nicht erzählt. Klang sehr gebildet am Telefon«, antwortete Ruth. »Ist schon komisch: Da ist Hermeskeil mit seinen fast sechstausend Einwohnern mehr als doppelt so groß wie Hellersberg, aber sie haben kein Bett frei.«
»Und was machst du, wenn er um Mitternacht noch nicht da ist?«, erkundigte sich Heiner Landscheid.
Ruth war eine kernige Frau, die jede Situation zu meistern wusste. »Na, Heiner, solange ich die Polizei im Haus habe, haben wir ja wohl noch keine Sperrstunde. Wollt ihr jetzt noch eure Runde?« Ruth ging wieder zum Tresen und nahm die leeren Gläser mit. Die drei Männer nahmen ihre Skatkarten wieder auf.
Nachdem Ruth die Getränke gebracht und alle Gläser vom Abend gespült und weggeräumt hatte, wischte sie die Tische ab, stellte die Stühle hoch, fegte durch die Schankstube und setzte sich anschließend wieder zu den Männern an den Tisch. »Hajo, hast du mal was von deinem Enkel gehört?«, wandte sie sich an Hans-Joachim Nert. »Wie lange ist er schon weg?«
Hajo winkte verärgert ab, er spielte gerade einen Grand und musste sich konzentrieren. Wenig später warf er triumphierend seine Karten offen auf den Tisch. »Ihr könnt keinen Stich mehr bekommen, zählt mal eure Punkte.«
Heiner Landscheid raffte seine und die Karten des Pastors zusammen und kam insgesamt lediglich auf neunundzwanzig Augen – ein klarer Sieg für den Rentner Hajo Nert, der die beiden anderen Schneider gespielt hatte.
»Hajo, ich hab dich gefragt, was der Jonas macht. Und ich mach hier gleich dicht, das ist eure letzte Runde, es ist schon nach eins«, beharrte Ruth.
»Jonas ist seit Juli weg, also schon zwei Monate«, antwortete Hajo. »Aber es geht ihm gut in Amerika. Seine Gastfamilie ist nett, die Schule ist in Ordnung, und das Wetter in Florida ist natürlich ein Traum für so einen Jungen.«
»Ich hätte mein Kind nicht für ein ganzes Jahr so weit weggeschickt«, bemerkte Heiner Landscheid. »Wenn ich mir das vorstelle, mein Jüngster ist gerade zwanzig, wenn ich den vor vier Jahren für ein ganzes Jahr ins Ausland geschickt hätte …«
»Wenn ich mitzureden hätte, wäre der Junge zu mir auf den Hof gekommen und nicht zu Wildfremden nach Amerika, aber ihr kennt doch meinen Sohn und vor allem meine Schwiegertochter. Die war immer schon eine durchtriebene Person. Mit sechzehn war sie schon mit Jonas schwanger, und heute holt sie ihre verpasste Jugend nach. Ihr kam es gerade recht, dass Johannes Anfang des Jahres seine Hälfte des Hofs, die er nach Katharinas Tod geerbt hat, sofort gewinnbringend verkaufen konnte. Sie wollte sowieso nie etwas mit seiner Hochwälder Heimat zu tun haben. Darum haben sie auch nie zusammen hier gewohnt, obwohl sie dadurch viel Geld hätten sparen können, sondern sind direkt nach Johannes’ Abitur nach Trier gezogen. Der Junge war ihnen bei ihrem Lebensstil immer schon im Weg, und seit sie das Erbe haben, ist es nur schlimmer geworden. Manchmal denke ich, für Johannes wäre es sicher besser gewesen, sie hätte das Kind damals abgetrieben und er wäre nicht schon mit neunzehn Vater geworden. In dem Alter sind sie einfach nicht reif genug für so viel Verantwortung, aber …«
Der Pastor räusperte sich. »Hans-Joachim, ich bin zwar betrunken und nicht mehr im Dienst, aber ich bin immer noch Pastor, und solche Reden möchte ich nicht von dir hören.«
Ruth sah, wie Hajo beschämt in die letzte Pfütze in seinem Bierglas blickte. »Du hast ja recht, was würde ich ohne den Jungen machen. Aber seit Anna-Lena sich nur noch ›Lenny‹ nennen lässt und als Frau Neureich jeden Kontakt zu ihrem Schwiegervater ablehnt, weil sie sich für mich schämt, wird es für mich langsam auch immer schwerer, mit Jonas in Kontakt zu bleiben.«
»Wie macht ihr das denn, telefoniert ihr?«, fragte Heiner Landscheid nach.
»Selten, wegen der Zeitverschiebung. Ob ihr es glaubt oder nicht, wir schreiben uns E-Mails.«
»Du hast einen Computer?«,
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