Tief im Hochwald - Kriminalroman
wunderte sich Heiner, der als Polizist notgedrungen im Dienst Umgang mit einem Computer hatte, was ihm mit achtundfünfzig Jahren nicht immer leichtfiel, wie er oft genug betonte, aber Hajo hatte als ehemaliger Schlosser nie damit zu tun gehabt. Nachdem seine Frau gestorben war, hatte er erzählt, wie gut es ihm im Grunde passte, dass sein Arbeitgeber durch die Finanzkrise auch seine finanziellen Nöte hatte und ihm den Vorruhestand angeboten hatte. So hatte Hajo sich zunächst voll und ganz um seinen kleinen Nebenerwerbsbauernhof gekümmert, den er bislang nur als Hobby betrieben hatte. Nachdem sein Sohn seinen eigenen Anteil der Ländereien verkauft hatte, hatte auch Hajo nach und nach seine Grundstücke und Tiere aufgegeben.
»Nein, ich schaffe mir auch mit neunundfünfzig Jahren so etwas nicht mehr an, obwohl ich manchmal schon darüber nachdenke«, sagte Hajo.
»Und wie schreibt ihr euch dann?«, hakte Ruth nach.
»Ich weiß nicht, ob du das wissen willst.« Hajo stierte in sein Glas, das er inzwischen leer getrunken hatte, als würde er seinem Bier nachtrauern. »Meine Nachbarin hat doch einen Computer, und zu der gehe ich notgedrungen immer, wenn ich sehen will, wie es dem Kind geht.«
Ruth konnte Heiner ansehen, wie er überlegte, welche Nachbarin Hajo meinte. »Du meinst die Studentin, die bei Klaus wohnt?«
Ein Schmunzeln kroch über Hajos Gesicht. »Da bringst du mich auf eine gute Idee. Vielleicht sollte ich da mal nachfragen, statt immer zu Ursula zu müssen.«
» URSULA ?«, klang es aus drei Mündern gleichzeitig.
»Ja, Ursula«, gab Hajo Nert bedrückt zu.
»Warum hat die denn einen Computer in ihrem Alter?«, fragte Ruth neugierig, obwohl sie selbst nur rund zehn Jahre jünger war als Ursula Greimerath.
»Nachdem ihr letzter Mann gestorben ist, hat eine Freundin sie darauf gebracht, dass man viele Männerbekanntschaften im Internet machen könnte, und das probiert sie neuerdings aus. Da sieht schließlich niemand, dass sie schon über sechzig und mächtig aus dem Leim gegangen ist. Im Internet schreibt sie bestimmt allen, sie sei süße siebzehn und heiße Chantal oder so.«
Ruth stand auf, holte eine Flasche Jägermeister hinter dem Tresen hervor und schenkte vier Gläser voll.
»Das kann ich nicht glauben. Einen Absacker noch aufs Haus, und dann ist es Zeit für euch zu gehen.«
»Heiner, steh auf, du bist im Dienst.«
Gabriele versuchte verzweifelt, ihren Mann zu wecken. Es musste fast zwei gewesen sein, als dieser von seiner Skatrunde nach Hause gekommen war. Gegen halb zwei war sie auf der Toilette gewesen, da war das Bett neben ihr noch leer.
Heiner lag auf dem Bauch, die Füße hingen aus dem Bett heraus, die Socken, von denen einer den Anblick eines großen Lochs unter dem Ballen der linken dicken Zehe bot, hatte er nicht ausgezogen. Sein Uniformhemd lag auf dem Boden, die Hose hingegen hatte er noch an, was Gabriele erst sah, als sie ihm die Decke wegzog.
»Hm, lass das. Heute ist Samstag, ich will weiterschlafen.« Heiner griff verärgert hinter sich und versuchte, seine Bettdecke festzuhalten.
»Das nützt dir nichts, der Wolfgang hat angerufen, er hat eine Leiche gefunden.«
»Eine was?« Ihr Mann schien seinen Ohren nach dieser Nacht noch nicht recht zu trauen.
»Wolfgang Schindler ist heute Morgen in den Wald gefahren, um Holz zu schlagen für den Winter. Seine Bäume wurden neulich gefällt und müssen geschnitten werden. Ihm ist erst ein Auto mit Nürnberger Kennzeichen aufgefallen, das am Wegrand stand. Und nicht viel weiter musste er rechts in seinen Wald abbiegen, und dann hat er ihn vor dem Hochsitz liegen sehen.«
»Wen?«, brummte Heiner.
»Das weiß ich doch nicht, bin ich deine Frau oder dein Hilfspolizist? Steh endlich auf und kümmere dich darum.« Sie ließ ihren Blick auf dem Mann ruhen, den sie vor über dreißig Jahren als schmucken, groß gewachsenen und gut gebauten Jüngling mit dunkler Haarpracht geheiratet hatte. Seinem Gesicht und seinem Körperbau sah man die stattliche Erscheinung von einst bis heute an, aber inzwischen lappte sein Bauch über die immer enger werdenden Hosen, und die Haare waren weiß und spärlich geworden, auch wenn man ihnen die Lockenstruktur trotzdem ansah.
Heiner rollte sich vorsichtig auf die Seite und wollte aufstehen, aber sein Kreislauf machte das noch nicht mit. Er ließ sich wieder ins Kissen sinken und wartete einen Moment. Langsam kam er auf die Beine und zog das zerknitterte Hemd vom Vortag an.
»Heiner, wehe
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