Tief im Hochwald - Kriminalroman
EINS
Es war schon dunkel, als er seinen Passat Kombi in den schmalen Waldweg zwischen dem Fichtenwald auf der linken und dem Laubwald zu seiner rechten Seite lenkte. Er wollte nicht allzu tief in den Wald hineinfahren, nur gerade so weit, bis er an eine Stelle kam, wo er so parken konnte, dass er den Weg für andere Fahrzeuge nicht blockieren würde. Der Waldboden war vom Regen aufgeweicht, und er würde vorsichtig sein müssen. Er öffnete das Handschuhfach und nahm eine große Taschenlampe heraus. Sein Handy war noch in der Freisprechanlage verankert, aber er würde es mitnehmen müssen, wenn er den Weg finden wollte. Hoffentlich hatte er zwischen diesen hohen Bäumen überhaupt Empfang. Kein Wunder, dass diese Landschaft als Hochwald bezeichnet wurde. Vorhin auf der Straße hatte er noch einiges erkennen können, aber hier war es schon stockfinster, obwohl er gerade erst den Verkehrslagebericht um neunzehn Uhr dreißig gehört hatte.
Er stieg aus dem Auto und fluchte, weil er mit seinen neuen schwarzen Lederschuhen genau in eine Pfütze getreten war. Auf dem Weg zum Kofferraum sah er vorsichtig auf den Boden, bog eine Brombeerranke zurück, die vor dem Autoheck hing, und öffnete die Kofferraumklappe. Er zog den Reißverschluss seines Rucksacks, den er darin verstaut hatte, auf und nahm eine kleine Umhängetasche heraus. Er warf einen letzten Blick hinein, um zu überprüfen, ob auch alles da war: eine kleine Schaufel aus Metall, ein Schweizer Messer mit zahlreichen hilfreichen Funktionen und vor allem Latexhandschuhe, die er sich nun überstreifte. Das Terrain sollte schwierig sein, und er hatte keine festen Schuhe dabei, aber es musste auch so gehen.
Er warf im Schein der Kofferraumbeleuchtung einen Blick auf das Display seines Handys. Er würde nicht weit gehen müssen. Er fragte sich, warum die Mission so schwierig sein sollte, Kategorie vier auf einer Skala von eins bis fünf. Als er per Telefon sein Hotelzimmer gebucht hatte, hatte er bereits erwähnt, dass es spät werden könnte. Hoffentlich bekam er noch etwas zu essen, wenn er mit diesem Auftrag fertig war. Aber während er im Wartezimmer auf den Arzt gewartet hatte, hatte er mit seinem Handy im Internet nach einer guten Gelegenheit für den heutigen Abend gesucht. Es war schon einige Tage her, dass er zuletzt eine Entdeckung gemacht hatte, und in diese Gegend würde er so bald nicht mehr kommen.
Er richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf den Weg vor sich und leuchtete anschließend die hohen Bäume ab. Dort vorn, etwa vier, fünf Baumreihen weiter, konnte er einen kleinen leuchtenden Punkt an einer Fichte erkennen, in knapp zwei Metern Höhe: ein winziger Spiegel in der Größe eines Fingernagels, den er im Hellen nicht wahrgenommen hätte, der ihm jetzt aber den Weg wies. Es würde schwierig werden, zugleich auf den völlig durchweichten Waldboden und auf die Hinweise zu achten, die ihn zu seinem Ziel führen würden. Rund dreißig Meter weiter erkannte er einen zweiten leuchtenden Punkt, dieses Mal rechts vom Weg an einem Laubbaum. Er verglich immer wieder die Angaben auf seinem Handy mit seiner aktuellen Position. Es konnten nicht mehr viele Hinweise kommen, denn es hieß in der Beschreibung, es werde weniger als eine Stunde dauern.
Als er einen Hochsitz erreichte, wusste er, dass er am Ziel war, mehrere Lichtpunkte wiesen an der Leiter nach oben, und er erklomm die morschen Stufen. Unter der Sitzbank in einer Ecke der Plattform fand er die Dose, die in der Beschreibung so vielversprechend geklungen hatte. Er sollte der Erste sein, der sie fand. Sie war erstaunlich schlecht versteckt, er würde den Besitzer darauf aufmerksam machen, dass Unbeteiligte sie zufällig finden könnten. Er stellte seine Tasche auf die Bank, legte die Taschenlampe auf die Armauflage des Ausgucks und betrachtete in ihrem Schein die durchsichtige Kunststoffbox. Sie enthielt einen Gegenstand, den er laut Beschreibung nach Nürnberg bringen sollte. Dort würde er nächste Woche wieder sein, der Auftrag ließ sich gut mit seinen sonstigen Plänen verbinden. Er klappte den Deckel der Box auf, die ihn spontan an seine Brotdose erinnerte, die mit einem angetrockneten Hefeteilchen auf seinem Beifahrersitz lag, und fand in ihrem Inneren einen Lottoschein. Im oberen linken Feld hatte jemand die Zahl Neunundvierzig angekreuzt, im nächsten Kästchen die Siebenundzwanzig, daneben die Vier und im vierten Feld die Fünfunddreißig. In der unteren Reihe war ebenfalls je eine Zahl
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