Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)
Zielgruppe, deren Alter über die Jahre immer gleich geblieben war – zwischen 20 und höchstens 30 Jahre –, sich jemand anderen wünschten als ihn, wäre er nie gekommen.
Dennoch zog es ihn immer wieder in den Club. Wenn er das Gefühl hatte, es müsse etwas passieren, war er nicht zu halten. Er hatte keine genaue Vorstellung davon, was passieren sollte. Meistens passierte gar nichts, außer dass er am nächsten Morgen mit einem dicken Kopf aufwachte und sich erfolglos fragte, was denn nun eigentlich am letzten Abend und der folgenden Nacht passiert sei. Inzwischen wäre es für ihn ein willkommenes Abenteuer gewesen, wenn er morgens irgendeine Nachteule neben sich gefunden hätte.
*
Er war der Einzige in seiner Straße, der hier seine erste Adresse und dauerhaft Residenz bezogen hatte. Seine Nachbarn vermieteten ihre Häuser und Villen an Touristen. Er half ihnen ab und zu dabei. Erst letzte Woche hatte er das Haus seines Nachbarn an ein deutsches Ehepaar vermitteln können, das demnächst für einige Zeit hier Urlaub machen wollte. Die Besitzer selbst kamen erst zum Sommer und blieben dann ein paar Wochen.
Zurzeit lebte er mutterseelenallein. Sein Domizil lag ein paar Hundert Schritte vom Clube entfernt oberhalb eines Hanges, der sich gegen die Küste neigte und über einen felsigen Steilhang zum Meer abfiel. Der Blick von der Terrasse auf den wenige 100 Schritte entfernt liegenden Atlantik war berauschend, von der Dachterrasse war die Aussicht atemberaubend. Der Blick ging über den unterhalb liegenden Pool und die dahinter sich seitwärts anschließenden Zitrushaine und Mandelgärten zu dem sich unendlich ausbreitenden Ozean. Die Aussicht erweckte in ihm noch immer die Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer.
Sein Haus bildete einen Dreiviertelkreis. Es friedete einen mit Natursteinplatten ausgelegten Innenhof ein, von dem man durch das offen gebliebene Stück auf die Hügel im Westen schaute. Türen gingen von Küche und Wohnzimmer und direkt von der Eingangshalle auf den Hof hinaus. Auf der einen Seite war hinter einem fest gegründeten, runden Steintisch eine gemauerte Sitznische in die Hauswand eingelassen. An der gegenüberliegenden Wand gab es einen Brunnen. Aus dem Maul eines marmornen Löwenkopfes plätscherte Wasser in ein kreisrundes, kleines Becken. Nische, Brunnenmauer und Tischplatte waren mit portugiesischen Azuleijos gefliest, in traditionellem sommerlich blaugelbem Design aus Paradiesvögeln und Fantasiefischen. An den Wänden rankte tiefblaue Clematis, und in der Mitte war ein Feigenbaum gepflanzt worden, der inzwischen gewachsen war und einen angenehmen Halbschatten über den Innenhof warf.
Das eine Ende des offenen Kreises beherbergte die Küche, das andere Ende, eine halbe Etage tiefer, den Hang hinab gelegen, ein großes Wohnzimmer mit Kamin. Dazwischen verteilten sich eine Essgalerie, die Schlaf- und Ankleidezimmer, zwei Bäder, die Wirtschaftsräume und die Eingangshalle. Auch einen kleinen Keller konnte er von der Küche aus erreichen. Er hatte sich als sehr nützlich erwiesen, denn in der sommerlichen Hitze war ein kühler Vorratsraum von großem Vorteil und äußert bequem. Das Haus wurde über offene Schächte, die durch das Dach gezogen waren und in ortstypischen, maurischen Kaminköpfen endeten, gut entlüftet. Sein Haus hatte nicht nur eine gute Lage, sondern war gut durchdacht, solide und von sicherem Geschmack selbst in den kleinsten Details. Die Einrichtung hatte er selbst besorgt. Sie war in Ordnung, aber ihr fehlte etwas. Sein Haus wirkte merkwürdig unbelebt. Es fehlte eine Frau, dachte er oft.
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Gewöhnlich duschte er und kleidete sich um, bevor er in den Club ging. Heute hatte er keine Lust dazu. Er blieb in lässigen Jeans und seinem Lieblingshemd, einem schlichten, weißen, langärmeligen Baumwollhemd der Marke Ralph Lauren. Es war Anfang Mai. Die Sonne stach noch nicht vom Himmel wie im Juli und August, wenn draußen alles verbrannte und braun wurde. Die letzten Mandelblüten hingen noch an den Bäumen und Klatschmohn blühte unter den Apfelsinen- und Zitronenbäumchen. Die Temperaturen waren angenehm und bekömmlich. Er schwitzte nicht. Und er würde auch im Club nicht schwitzen müssen, denn die Saison hatte noch lange nicht begonnen. Der Laden würde heute Abend nicht voll werden. Heute würde er dort Leute treffen, die wie er Dauerresidenten waren. Dazu würden die wenigen Cleveren da sein, die gern im Frühjahr aus Deutschland und
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