Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)
unter den Füßen weg. Es vernichtet sie, verstehst du?«
»Auch wenn ihr Kind ein absolutes Arschlochkind ist?«
»Das spielt überhaupt keine Rolle.«
Sie schwiegen lange. Jung dachte an den Vater des Mädchens. Er dachte an sich. Er dachte sehr lange nach. Und er dachte schließlich, dass Svenja recht hatte.
Jung sog an seiner Zigarre und paffte den Rauch unter den Sonnenschirm.
»Tiny, unser Nachbar und Expilot, ist übrigens auf dem Weg nach Rio, um dort den Frauen auf den Busen zu glotzen.«
»Hoffentlich hat er nicht seine Ray Ban Aviator vergessen«, bemerkte Svenja schnippisch.
»Alles andere, aber die nicht.«
»Wieso?«
»Jack Nicholson hat einmal festgestellt: Mit meiner Ray Ban bin ich Jack Nicholson, ohne meine Ray Ban nur ein fetter, alter Mann.«
Svenja lachte herzhaft, und Jung fiel in ihr Lachen ein. Sie griff zu ihrer Kaffeetasse und trank. Er freute sich über die heitere Gelassenheit, die sich auszubreiten begann. Der Anlass ihres Gespräches verblasste zusehends.
»Mal was ganz anderes, Svenja.« Jung suchte ihren Blick. »Ich habe eine ganz persönliche Frage an dich.«
»Schieß los, Tomi. Ich bin ganz Ohr.«
»Bist du Alkoholikerin?«
Svenja setzte ihre Kaffeetasse ab und sah ihn verwundert an.
»Wie kommst du darauf, jetzt, nach so vielen Jahren?«
»Du reagierst allergisch. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit stänkerst du gegen Alkohol.«
»Aha.« Svenja schwieg, als wäre das Thema damit erledigt.
»Wie, aha? Bist du nun oder nicht?«, insistierte Jung freundlich.
»Soll ich dir mal was sagen, Tomi, ganz unter uns?« Sie machte eine Kunstpause. »Das geht dich einen Scheißdreck an, okay?« Ihre Freundlichkeit tropfte ihr von den Lippen wie süßer Honig.
»Siehst du, das habe ich ihm auch geantwortet«, erwiderte Jung selbstzufrieden.
»Wem hast du was geantwortet?«
»Tiny. Er hat mir die Frage gestellt. Ich habe ihm geantwortet wie du mir eben.«
Svenja sah ihren Mann an und schwieg vielsagend. Kurz darauf fragte sie beiläufig:
»Bist du schwul, Tomi?«
»Was soll das denn jetzt?«
»Du reagierst allergisch. Dauernd stänkerst du gegen Männer.«
Jungs Verblüffung musste ihm ins Gesicht geschrieben stehen, denn Svenja legte den Kopf in den Nacken und lachte ihr fröhlichstes Urlaubslachen. Jung war drauf und dran, seine Zigarre abzulegen, in die Küche zu gehen und sich ein Glas Cava zu gönnen. Er hatte schließlich Urlaub und Anspruch auf Erholung. Er blieb jedoch, wo er war, denn ein Spitzensekt vertrug sich nun einmal nicht mit einer Cohiba, das musste er dem guten Geschmack konzedieren. Deshalb lehnte er sich in seinen Sitz zurück, nahm einen Zug und sah seine Frau durch den davonschwebenden Rauch versonnen an.
Er schüttelte innerlich den Kopf über sie und ihre agressive Intelligenz. Er fragte sich, wie stark sie eigentlich wirklich war und was er von ihr noch zu erwarten haben würde. War sie klug? Vielleicht war ›lebenspraktisch‹ das bessere Wort für das, was er an ihr, nach ihrer Stärke und Intelligenz, am meisten schätzte. Aber es gab auch Gelegenheiten, in denen er ihre Tugenden verfluchte. Oder störte ihn nur, dass er glaubte, ihm selbst stünden diese Eigenschaften nicht zur Verfügung? Und auf einmal wusste er mit letzter Sicherheit, was er bis zum heutigen Tage häufig nur undeutlich, aber immer unauslöschlich gefühlt hatte: Er liebte seine Frau, was immer sie getan hatte und was immer sie noch tun würde. Und er wusste mit der gleichen Sicherheit, dass es in dieser Welt keinen Ort und keine Zeit geben würde, an dem und in der sich seine Liebe erfüllen konnte.
The top gun
Er langweilte sich. Also machte er sich bereit, in den Club zu gehen. Er tat das immer, wenn seine Unruhe ein Ausmaß erreicht hatte, das ihn weder auf der schattigen Bank im Hof noch auf der Liege am Pool hielt. Auch auf dem Sofa vor dem Kamin konnte er keine Ruhe finden. Er nahm ein Päckchen Camel light vom Tisch, schüttelte ein Stäbchen bis zur Hälfte heraus und steckte es sich zwischen die Lippen.
Auf dem Zippo, mit dem er die Zigarette entzündete, war der Riss eines Kampfjets seiner alten Fighter Squadron eingraviert. Das Geschwader war vor Kurzem aufgelöst worden. Er erinnerte sich mit gemischten Gefühlen an seine aktive Zeit. Seine ersten Jahre, nachdem er combat ready geworden war, hatte er im Geschwader verbracht. Seine Kameraden nannten ihn scherzhaft ›Tiny‹ wegen seiner Körpergröße von gut 1,90 Meter und einem
Weitere Kostenlose Bücher