Tiere essen
bezeichnet. Nein, es ist schlicht die Wahrheit.
Tatsächlich ist es alles andere als hart oder intolerant, wenn man dagegen ist, Leute dafür zu bezahlen – täglich dafür zu bezahlen –, Tieren Verbrennungen dritten Grades zuzufügen, ihnen die Hoden rauszureißen, ihnen die Kehlen aufzuschlitzen. Beschreiben wir doch die Realität, wie sie ist: Dieses Stück Fleisch stammt von einem Tier, das im besten Fall – und nur sehr wenige kommen so glimpf lich davon – verbrannt, verstümmelt und ermordet wurde, damit ein Mensch einige wenige Minuten lang Genuss verspürt. Rechtfertigt dieser Genuss die Mittel?
Er weiß es besser
Ich respektiere die Haltung von Menschen, die aus welchen Grün den auch immer beschließen, kein Fleisch zu essen. Genau das habe ich Nicolette auch bei unserer ersten Verabredung gesagt, als sie mir erzählte, sie sei Vegetarierin: »Toll. Das respektiere ich.«
Den größten Teil meines Erwachsenenlebens habe ich damit ver bracht, eine Alternative zur Massentierhaltung zu entwickeln und zu etablieren, am offensichtlichsten bei meiner Arbeit für Niman Ranch. Ich teile aus ganzem Herzen die Einschätzung, dass die mo dernen, industrialisierten Methoden der Fleischproduktion, die sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchgesetzt haben, den grundlegenden Werten widersprechen, die lange Zeit mit Viehzucht und Schlachtung in Verbindung gebracht wurden. In vielen traditionellen Kulturen herrschte ein breiter Konsens, dass Tiere Respekt verdienen und dass man ihnen das Leben nur mit Ehrfurcht nehmen durfte. Diese Einstellung führte dazu, dass die Traditionen im Judentum, im Islam, bei den amerikanischen Ur einwohnern und anderen Kulturen überall auf der Welt besondere Rituale und Praktiken zur Haltung und Schlachtung von Tieren für den menschlichen Verzehr vorschreiben. Unglücklicherweise hat das agroindustrielle System sich von der Ansicht verabschiedet, dass ein Tier das Recht auf ein gutes Leben hat und respektvoll behandelt werden sollte. Darum habe ich so deutlich gegen fast alles Stellung bezogen, was heute in der Massentierhaltung geschieht.
Nachdem das geklärt ist, möchte ich erläutern, warum ich mit gutem Gewissen nach althergebrachten und natürlichen Methoden Tiere zum Verzehr aufziehen kann. Wie ich Ihnen schon vor ein paar Monaten erzählt habe, bin ich in Minneapolis als Kind russisch-jüdischer Einwanderer aufgewachsen, die ein kleines Lebensmittelgeschäft hatten, Niman’s Grocery. So ein Laden, in dem Service ganz großgeschrieben wurde: Man kannte die Kunden mit Namen, Bestellungen wurden oft per Telefon aufgenommen und dann ins Haus geliefert. Als Kind besorgte ich oft die Auslieferung. Außerdem ging ich mit meinem Vater auf den Markt, füllte die Regale nach, packte Einkäufe in Tüten und erledigte eine Menge weiterer kleiner Arbeiten. Meine Mutter, die ebenfalls im Laden mitarbeitete, war eine gute Köchin, die fast alles von Grund auf selbst zubereitete, natürlich mit den Zutaten, die wir auch im Geschäft anboten. Essen wurde immer als etwas einzigartig Wertvolles gesehen, das nicht selbstverständlich war und nicht verschwendet werden durfte. Und es war auch nicht einfach bloß Brennstoff für unseren Körper. Beschaffung, Zubereitung und Verzehr von Speisen waren in unserer Familie mit Zeit, Sorgfalt und Ritualen verbunden.
Mit Mitte zwanzig kam ich nach Bolinas und kaufte Land. Meine verstorbene Frau und ich machten ein großes Stück davon urbar und bauten Gemüse an; wir pflanzten Obstbäume, und wir besorgten uns ein paar Ziegen, Hühner und Schweine. Zum ers ten Mal in meinem Leben produzierte ich den größten Teil meiner Nahrung mit meiner eigenen Hände Arbeit. Das war ungeheuer befriedigend.
In dieser Lebensphase lernte ich, was es wirklich bedeutet, Fleisch zu essen. Wir lebten buchstäblich mit unseren Tieren zusammen, ich kannte jedes einzelne persönlich. Es war also gar nicht leicht, sondern eine echte Herausforderung, ihnen das Leben zu nehmen. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft daran, wie ich die ganze Nacht wach lag, nachdem wir unser erstes Schwein geschlachtet hatten. Ich quälte mich mit der Frage, ob ich das Richtige getan hatte. Doch in den folgenden Wochen, als wir, unsere Freunde, unsere Familie, das Fleisch dieses Schweins aßen, wurde mir klar, dass es nicht umsonst, sondern für einen guten Zweck gestorben war – um uns mit wohlschmeckendem, gesundem und höchst nahrhaftem Essen zu versorgen. Ich entschied,
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