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Tiere essen

Tiere essen

Titel: Tiere essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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oft entgegenstehen; aber wenn es die Art nicht gäbe, gäbe es auch keine Individuen. Würde die Menschheit vegetarisch leben, würde es keine Nutztiere mehr geben (was nicht ganz stimmt, denn es gibt jede Menge Hühner-und Schweinerassen, die nur der Dekoration dienen oder zur Gesellschaft gehalten werden, weitere würde man halten, um Felder zu düngen). Die Tiere wollen also, dass wir sie uns halten. Es ist ihnen lieber so. Einige Rancher haben mir erzählt, sie hätten einmal vergessen, die Tore zu schließen, und kein Tier sei weggelaufen.
    Im alten Griechenland wurde der Mythos von der Einwilligung beim Orakel von Delphi eingesetzt: Man spritzte den Tieren vor dem Schlachten Wasser auf den Kopf, und wenn die Tiere das Wasser abschüttelten, indem sie mit dem Kopf nickten, interpretierte das Orakel dies als Einwilligung des Tiers zur Schlachtung und sagte: »Was zustimmend nickt … sage ich, darfst du mit Recht opfern.« Eine traditionelle Formel bei den russischen Jakuten lautet: »Du bist zu mir gekommen, o Bär, du möchtest, dass ich dich töte.« In der alten israelitischen Tradition muss die rote Kuh, die für Israels Sühne geopfert wird, bereitwillig zum Altar gehen, sonst ist das Ritual unwirksam. Den Mythos der Einwilligung gibt es in vielen Versionen, aber alle implizieren einen »fairen Deal« und zumindest metaphorisch eine Komplizenschaft der Tiere bei ihrer Domestizierung und Schlachtung.

Der Mythos vom Mythos
    ARTEN TREFFEN ABER KEINE ENTSCHEIDUNGEN , das tun nur Individuen. Und selbst wenn Arten es irgendwie könnten, wäre kaum davon auszugehen, dass sie Kontinuität über das Wohlergehen des Einzelnen stellen würden. Mit dieser Logik müsste man auch Menschen versklaven dürfen, wenn ihre Existenz sonst gefährdet wäre. (Das Motto für unsere Nutztiere ist nicht Freiheit oder Tod, sondern Stirb in Sklaverei, aber lebe .) Es ist offensichtlich, dass die meisten Tiere, auch einzelne, nicht in der Lage sind, einen solchen Handel zu verstehen. Hühner können vieles, aber sie können keine ausgeklügelten Vereinbarungen mit Menschen treffen.
    Abgesehen davon könnten diese Einwände am Kern der Sache vorbeigehen. Denn wie auch immer es nun war, die meisten Menschen haben eine Vorstellung davon, wie eine faire und eine unfaire Behandlung beispielsweise ihrer Hunde oder Katzen aussieht. Und wir können uns Formen der Tierhaltung vorstellen, in die die Tiere, rein theoretisch, »einwilligen« könnten. (Es wäre immerhin denkbar, dass ein Hund, der jahrelang gute Nahrung bekommen würde, jede Menge Zeit im Freien mit anderen Hunden verbringen dürfte und so viel Platz hätte, wie er will, und der sich der Härten des Lebens in freier Wildbahn bewusst wäre, sich bereit erklären würde, dafür am Ende gefressen zu werden.)
    Solche Dinge können wir uns vorstellen und tun es auch, das haben wir schon immer getan. Dass die Mär von der Einwilligung der Tiere es bis in unsere Zeit hinein geschafft hat, deutet darauf hin, dass dem Menschen bewusst ist, worum es geht. Und dass er den Wunsch hat, das Richtige zu tun.
    Es überrascht nicht, dass die meisten Menschen im Laufe der Geschichte das Essen von Tieren als alltäglich akzeptiert haben. Fleisch macht satt und riecht gut und schmeckt den meisten. (Es überrascht ebenso wenig, dass nahezu in der gesamten Menschheitsgeschichte immer einige Menschen andere als Sklaven gehalten haben.) Aber die Menschen haben, soweit es überliefert ist, auch von Anfang an ihr ambivalentes Verhältnis zu der Gewalt und dem Töten zum Ausdruck gebracht, das mit dem Essen von Tieren einhergeht. Deswegen haben wir Geschichten erzählt.

Das erste Vergessen
    WIR SEHEN HEUTE SO SELTEN NUTZTIERE , dass es sehr einfach ist, das alles zu vergessen. Die Generationen vor uns waren viel vertrauter mit den Charakteren ihrer Tiere und der Gewalt, die ihnen angetan wurde. Sie wussten noch, dass Schweine verspielt, klug und neugierig sind (wir würden sagen: »wie Hunde«) und dass sie ein kompliziertes Sozialverhalten haben (wir würden sagen: »wie Primaten«). Sie wussten noch, wie ein Schwein in einem Käfig aussieht und sich verhält, ebenso wie sie den kleinkindartigen Schrei kannten, den ein Schwein ausstößt, wenn es kastriert oder geschlachtet wird.
    Weniger Kontakt zu Tieren zu haben macht es einfacher, die Frage beiseite zu schieben, inwiefern wir Einfluss auf ihre Behandlung haben. Das Problem mit dem Fleisch ist ein abstraktes geworden: Es gibt kein einzelnes Tier

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