Tiere essen
mehr, keinen einzelnen freudigen oder gequälten Blick, keinen wedelnden Schwanz und keinen Schrei. Die Philosophin Elaine Scarry sagt, dass »Schönheit immer im Detail liegt«. Grausamkeit hingegen bevorzugt die Abstraktion.
Manch einer versucht, dieses Problem zu lösen, indem er selbst jagen geht oder ein Tier schlachtet, als würde eine solche Erfahrung das Verlangen nach Fleisch irgendwie legitimieren. Das ist aber Unsinn. Jemanden zu ermorden, würde eindeutig beweisen, dass man in der Lage ist zu töten, aber es ist nicht gerade der sinnvollste Weg, um herauszubekommen, ob man das wirklich tun sollte. Ein Tier zu töten dient meistens dazu, das Problem zu verdrängen, während man so tut, als wolle man es sich bewusst machen. Das ist vielleicht noch schlimmer als Unwissenheit. Es ist immer möglich, jemanden aus dem Schlaf zu wecken, aber kein Lärm der Welt kann jemanden wecken, der nur so tut, als würde er schlafen.
Die erste Tierethik
ES WAR EINMAL EINE vorherrschende ethische Haltung gegenüber domestizierten Tieren, die in den Erfordernissen der Tierhaltung wurzelte und auf das grundsätzliche Problem reagierte, dass ein Leben sich von einem anderen fühlenden Leben ernährt. Sie lautete (natürlich) nicht iss das nicht, aber auch nicht iss unbesorgt, sondern: iss nicht unbesorgt.
Dass man zunächst einmal für die Tiere sorgen musste, hing nicht unbedingt mit einer geltenden Moralvorstellung zusammen. Die brauchte es gar nicht, denn diese Ethik beruhte auf den wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Nutztierhaltung. Es lag in der Natur des Verhältnisses zwischen Mensch und Tier, dass der Mensch für das Tier sorgte; er kümmerte sich um Nahrung und eine gewisse Sicherheit für seine Herde. Für seine Tiere zu sorgen war ein einigermaßen gutes Geschäft. Aber die Tiere zahlten auch einen Preis dafür, dass sie Schäferhunde und sauberes Wasser bekamen: Kastration, schwere Arbeit, sie wurden zur Ader gelassen, oder ihnen wurde bei lebendigem Leib Fleisch herausgeschnitten, sie wurden gebrandmarkt, als Jungtiere ihren Müttern weggenommen, geschlachtet – all das war ebenfalls ein gutes Geschäft. Die Tiere bekamen Polizeischutz, und im Austausch dafür wurden sie ihren Polizisten geopfert: Schutz gegen Dienst.
Die Iss-nicht-unbesorgt- Ethik hat sich im Laufe der Jahrtausende immer weiterentwickelt und in unterschiedlichen Kulturen zu unterschiedlichen ethischen Vorstellungen geführt: In Indien wurde das Essen von Kühen verboten, im Islam und im Judentum herrscht das Gebot der schnellen Schlachtung, in der russischen Tundra behaupteten die Jakuten, die Tiere wollten geschlachtet werden. Aber diese Ethik hielt sich nicht.
Die Iss-nicht-unbesorgt- Ethik ist nicht im Laufe der Zeit obsolet geworden, sondern sie ist plötzlich gestorben. Beziehungsweise sie wurde getötet.
Der erste Fließbandarbeiter
IN DEN 1820ER- UND 1830ER-JAHREN wurde in den ersten Fleischverarbeitungsbetrieben (vulgo: Schlachthöfen) zuerst in Cincinnati und dann in Chicago das Fachwissen der Schlachter durch Arbeiterkolonnen ersetzt. Sie verrichteten an einer Schlachtstraße eine koordinierte Abfolge von Arbeitsschritten, die Verstand, Muskeln und Gelenke gleichermaßen taub machte. Anhängen, stechen und entbluten, Kopf absetzen, Schwanz abtrennen, Füße abtrennen, Haut abziehen, ausweiden und das ganze Tier spalten (unter anderem). Nach seiner eigenen Aussage hat die Effizienz dieses Vorgehens Henry Ford dazu inspiriert, das Modell auf die Automobilindustrie zu übertragen, was zu einer Revolution der Produktionsmethoden führte. (Ein Auto zusammenzusetzen ist dasselbe, wie ein Rind auseinanderzunehmen, nur umgekehrt.)
Der Druck, das Schlachten und Verarbeiten immer effizienter zu gestalten, ging teilweise mit den Fortschritten im Eisenbahnverkehr einher, beispielsweise mit der Erfindung des Kühlwagens 1879, mit dem es möglich war, immer größere Mengen Rindfleisch über immer weitere Strecken zu transportieren.
Heute ist es nicht ungewöhnlich, dass Fleisch um die halbe Welt reist, bis es im Supermarkt landet. Die durchschnittliche Entfernung, die unser Fleisch zurücklegt, liegt bei etwa 2500 Kilometern. Als würde ich zum Mittagessen von Brooklyn zum Texas Panhandle fahren.
1908 wurden für diese Art der Arbeitsteilung Förderbänder eingeführt und gestatteten es eher den Aufsehern als den Arbeitern, das Arbeitstempo vorzugeben. Mehr als 80 Jahre lang wurde das Tempo immer weiter gesteigert – in vielen Fällen
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