Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit
schmutzigen Scheidung steckte — prägte bald seinen Tagesablauf. Unweigerlich wurden seine Noten schlechter, und eines Tages nahm Johnston ihn beiseite und redete ihm mehrere Abende lang gut zu.
Doch Chris wollte nicht hören, und bald darauf tauchte sein Name in dem Scheidungsverfahren auf. Nur die persönliche Intervention des Professors verhinderte seine Relegation von Yale. Chris reagierte auf diese plötzliche Krise, indem er sich in seine Studien vergrub; seine Noten wurden schnell besser, und schließlich hatte er sein Diplom als Fünftbester seines Jahrgangs abgelegt. Insgesamt war er seit dieser Zeit viel ruhiger geworden. Jetzt, mit vierundzwanzig, neigte er zu Pedanterie und Magenproblemen. Nur bei Frauen war er immer noch ein Draufgänger.
»Endlich«, sagte Chris. »Es kommt.«
Das LCD zeigte einen Umriß in leuchtendem Grün. Durch den transparenten Monitor waren die Ruinen der Mühle zu sehen, überlagert von dem grünen Umriß. Das war die neueste Methode zur Rekonstruktion archäologischer Strukturen. Früher hatten ihnen nur gewöhnliche Architekturmodelle zur Verfügung gestanden, die aus weißem Styropor bestanden und per Hand ausgeschnitten und zusammengesetzt werden mußten. Aber diese Technik war langsam, Modifikationen waren schwierig.
Inzwischen wurden alle Modelle am Computer erstellt. Die Modelle konnten schnell erzeugt und problemlos verändert werden. Zusätzlich gestattete diese Methode die Betrachtung der Modelle vor Ort und einen präzisen Abgleich mit dem Original. Die Ortskoordinaten der Ruine wurden in den Computer eingespeist, und dank der durch das GPS ermittelten Stativposition war die Darstellung auf dem Monitor genau in der richtigen Perspektive.
Sie sahen zu, wie sich der Umriß füllte und dreidimensionale Gestalt annahm. Die Abbildung zeigte nun eine mächtige Brücke, aus Stein erbaut und überdacht und mit drei
Wasserrädern darunter. »Chris«, sagte Johnston, »du hast sie ja befestigt.« Er klang erfreut.
»Ich weiß, daß es ein Risiko ist…«, sagte er.
»Nein, nein«, erwiderte der Professor. »Ich halte das für einleuchtend.«
In der Literatur gab es Hinweise auf befestigte Mühlen, und auf jeden Fall gab es unzählige Berichte über Schlachten um Mühlen und Mühlenrechte. Doch tatsächlich bekannt waren nur wenige befestigte Mühlen: eine in Buerge und eine andere, erst kürzlich entdeckte, in Montauban im nächsten Tal. Die meisten Mittelalterspezialisten glaubten, daß solche befestigten Mühlen eher selten waren.
»Die Pfeilerfundamente am Wasserrand sind sehr mächtig«, sagte Chris. »Nachdem die Mühle aufgegeben war, benutzten die Leute sie als Steinbruch, wie alles hier in der Gegend. Sie holten sich die Steine, um damit ihre eigenen Häuser zu bauen. Aber die Steine in den Pfeilerfundamenten blieben, wo sie waren, weil sie zum Transport einfach zu groß und zu schwer waren. Für mich deutet das auf eine mächtige Brücke hin. Wahrscheinlich befestigt.«
»Du könntest recht haben«, sagte Johnston. »Und ich glaube –«
Das Funkgerät an seiner Hüfte knackte. »Chris? Ist der Professor bei dir? Der Staatssekretär ist da.«
Johnston schaute über die Klosterausgrabung hinweg zu der unbefestigten Straße, die am Fluß entlangführte. Ein grüner Landrover mit weißer Beschriftung an den Seiten kam, eine große Staubwolke aufwirbelnd, auf sie zugerast. »Ja«, sagte er. »Das kann nur Francois sein. Immer in Eile.«
»Edouard! Edouard!« Francois Bellin faßte den Professor bei den Schultern und küßte ihn auf beide Wangen. Bellin war ein großer, überschwenglicher Mann mit schütteren Haaren. Er sprach sehr schnelles Französisch. »Mein lieber Freund, wir haben uns viel zu lange nicht gesehen. Dir geht es gut?«
»Ja, Francois«, sagte Johnston und wich einen Schritt vor diesem Überschwang zurück. Immer wenn Bellin so übertrieben freundlich war, bedeutete das Probleme. »Und du, Francois, wie geht es dir?«
»Wie immer, wie immer. Aber in meinem Alter muß das reichen.« Er sah sich um und legte Johnston verschwörerisch die Hand auf die Schulter. »Edouard, ich muß dich um einen Gefallen bitten. Ich habe da ein kleines Problem.«
»Ach so?«
»Du kennst doch diese Reporterin, von L'Express —«
»Nein«, sagte Johnston. »Auf keinen Fall.«
»Aber Edouard –«
»Ich habe mit ihr telefoniert. Sie ist eine von diesen Spinnern,
die immer an irgendwelche Verschwörungen glauben. Der Kapitalismus ist schlecht, alle Konzerne
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