Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit
nichts.
»Ich dachte, da wäre schon mehr«, sagte sie.
»Irgendwann wird es mehr geben. Castelgard war zu seiner Zeit eine große Stadt mit einer sehr imposanten Burg«, erwiderte Marek. »Aber es dauert noch mehrere Jahre, bis alles restauriert ist.«
Kramer fragte sich, wie sie das Doniger erklären sollte. Das Dordogne-Projekt war noch bei weitem nicht so fortgeschritten, wie Doniger sich das vorgestellt hatte. Es wäre extrem schwierig, mit wirklicher Rekonstruktion zu beginnen, solange die Anlage nur aus solchen Trümmern bestand. Und sie war sicher, daß Professor Johnston sich einer Rekonstruktion unter solchen Umständen widersetzen würde.
»Unser Hauptquartier haben wir in dem Bauernhof da drüben aufgeschlagen.« Marek deutete auf ein Haus mit mehreren Nebengebäuden, nicht weit von den Ruinen entfernt. »Wollen Sie über Castelgard kreisen, um es sich genauer anzusehen?«
»Nein«, sagte Kramer, die versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Nein, fliegen wir weiter.«
»Okay, dann geht's jetzt zur Mühle.«
Der Helikopter schwenkte und flog nach Norden in Richtung Fluß. Das Land flachte zum Ufer der Dordogne hin ab. Sie überquerten den breiten, dunkelbraunen Fluß und kamen zu einer stark bewaldeten Insel, die direkt vor dem anderen Ufer lag. Insel und Nordufer trennte ein schmalerer, rauschender Flußarm von etwa fünf Metern Breite. Genau hier waren die Ruinen eines anderen Gebäudes zu erkennen, die jedoch so zerstört waren, daß man nicht mehr ausmachen konnte, was es einmal gewesen war. »Und das?« fragte Kramer und schaute nach unten. »Was ist das?«
»Das ist die Wassermühle. Früher gab es eine Brücke über den Fluß und darunter Wasserräder. Die Wasserkraft wurde zum Mehlmahlen benutzt und zum Antreiben großer Blasebälge für die Stahlherstellung.«
»Hier wurde offenbar überhaupt noch nichts wiederaufgebaut.« Kramer seufzte.
»Nein«, sagte Marek. »Aber wir haben die Mühle studiert. Chris Hughes, einer unser Doktoranden, hat sie ziemlich ausführlich erforscht. Das da unten ist Chris, beim Professor.«
Kramer sah einen stämmigen, dunkelhaarigen jungen Mann, der neben der großen, imposanten Gestalt von Professor Johnston stand. Keiner der beiden sah auf, als der Hubschrauber sie überflog; sie waren zu sehr auf ihre Arbeit konzentriert.
Jetzt ließ der Hubschrauber den Fluß hinter sich und überflog das flache Land nördlich davon. Sie überquerten einen Komplex niedriger rechteckiger Mauern, die im schrägen Morgenlicht als dunkle Linien zu erkennen waren. Kramer schätzte, daß die Mauern nur ein paar Zentimeter hoch waren. Aber sie markierten deutlich den Umriß von etwas, das aussah wie eine kleine Stadt.
»Und das? Ist das eine andere Stadt?«
»So ungefähr. Das ist das Kloster von Sainte-Mere«, erklärte Marek. »Eines der wohlhabendsten und mächtigsten Klöster Frankreichs. Es wurde im vierzehnten Jahrhundert in Schutt und
Asche gelegt.«
»Da wird aber viel gegraben.«
»Ja, das ist unsere wichtigste Grabungsstätte.«
Im Überfliegen erkannte Diane die großen quadratischen Gruben, mit denen sich die Forscher Zugang zu den Katakomben unter dem Kloster verschafften. Sie wußte, daß sich auf diese das Hauptaugenmerk richtete, weil man hoffte, hier noch weitere Verstecke mit klösterlichen Dokumenten zu finden; eine ganze Reihe hatte man bereits entdeckt.
Der Hubschrauber schwenkte wieder und näherte sich den Kalksteinabhängen auf der französischen Seite sowie einer kleinen Stadt. Dann stieg er über den Rand des Steilufers.
»Wir kommen jetzt zur vierten und letzten Grabungsstätte«, sagte Marek. »Die Festung über der Stadt Bezenac. Im Mittelalter hieß sie La Roque. Obwohl sie auf der französischen Seite des Flusses liegt, wurde sie von den Engländern gebaut, die sich damit einen dauerhaften Brückenkopf auf französischem Gebiet sichern wollten. Wie Sie sehen, ist es eine ziemlich ausgedehnte Anlage.«
Das war sie wirklich: ein riesiger militärischer Komplex auf der Anhöhe, mit drei Reihen konzentrischer Mauern, die sich über gut zwanzig Hektar erstreckten. Die Festung von La Roque war in einem besseren Zustand als die anderen Anlagen des Projekts, es gab noch mehr stehende Mauern. Man konnte leichter erkennen, was es einmal gewesen war.
Aber in der Anlage wimmelte es auch von Touristen.
»Sie lassen Touristen hinein?« fragte sie entsetzt.
»Das ist eigentlich nicht unsere Entscheidung«, antwortete Marek.
Weitere Kostenlose Bücher