Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit
zu demonstrieren.
Wirkliche Kampfrüstungen hatten die Jahrhunderte nicht überdauert. Und er hatte genü gend Quellen studiert, um zu wissen, daß die berühmtesten Krieger des Mittelalters immer kräftige Männer gewesen waren – groß, muskulös und ungewöhnlich stark. Sie stammten aus dem Adel; sie waren besser genährt und deshalb kräftig. Er hatte gelesen, wie sie trainierten und Spaß daran fanden, ihre Kräfte den Damen zu demonstrieren.
Und doch hätte er nicht im entferntesten etwas dergleichen erwartet: Diese Männer kämpften wild, schnell und ununterbrochen, und es sah aus, als könnten sie den ganzen Tag so weitermachen. Keiner ließ das geringste Anzeichen von Erschöpfung erkennen; sie schienen die Anstrengung eher zu genießen.
Während Marek ihre Aggressivität und Schnelligkeit beobachtete, erkannte er, daß er, wenn es an ihm wäre, genauso kämpfen würde: schnell und mit genügend Ausdauer und Kraftreserven, um den Gegner zu ermüden. Daß er sich einen langsameren Kampfstil vorgestellt hatte, war nichts als das Resultat des Vorurteils, die Männer der Vergangenheit wären schwächer oder langsamer oder weniger einfallsreich gewesen als er, ein moderner Mann.
Marek wußte, daß diese Anmaßung der Überlegenheit des zeitgenössischen Menschen ein Problem war, dem sich jeder Historiker stellen mußte. Er hatte nur nicht gedacht, daß auch er dieser Anmaßung schuldig sei.
Doch offensichtlich war er es.
Er brauchte eine Weile, bis er im Lärm der Menge erkannte, daß die Kämpfenden in einer so erstklassigen körperlichen Verfassung waren, daß sie noch Atem zum Schreien übrig
hatten, denn zwischen den Hieben riefen sie einander Beleidigungen und spöttische Bemerkungen zu.
Und dann sah er, daß es keine stumpfen Schwerter waren, sondern richtige Kampfschwerter mit rasiermesserscharfen Schneiden. Dennoch war es offensichtlich, daß sie einander nichts tun wollten. Dies war nur eine amüsante Aufwärmübung für das bevorstehende Turnier. Eine solch fröhliche, beiläufige Herangehensweise an tödliche Gefahren war beinahe genauso beängstigend wie das Tempo und die Heftigkeit ihres Kampfes.
Das Duell dauerte noch zehn Minuten, bis ein mächtiger Hieb einen Ritter aus dem Sattel warf. Er stürzte zu Boden, stand aber sofort lachend und so behende wieder auf, als würde er keine Rüstung tragen. Geld wechselte den Besitzer. Vereinzelt waren Rufe zu hören: »Noch einmal! Noch einmal!« Zwischen den Knappen brach eine Rauferei aus. Die beiden Ritter gingen Arm in Arm zum Gasthof.
Marek hörte Kate sagen. »André…«
Langsam drehte er sich ihr zu.
»André, ist alles in Ordnung?«
»Alles bestens«, sagte er. »Aber ich muß noch viel lernen.«
Sie überquerten die Zugbrücke und näherten sich den Wachen. Er spürte, wie Kate neben ihm sich verkrampfte. »Was sollen wir tun? Was sollen wir sagen?«
»Keine Angst. Ich spreche Provenzalisch.«
Doch dann kam es auf der Wiese vor dem Burggraben zu einem neuen Duell, und die Wachen sahe n zu. Sie ignorierten Marek und Kate völlig, als die beiden unter dem steinernen Bogen hindurchgingen und den Burghof betraten.
»Wir sind einfach durchgegangen«, sagte Kate überrascht. Sie sah sich im Burghof um. »Und jetzt?«
Es ist eiskalt, dachte Chris. Er saß, nackt bis auf die Unterhose, auf einem Hocker in Sir Daniels kleinem Schlafzimmer. Neben ihm stand ein Becken mit dampfendem Wasser, und dort lag ein Lappen zum Waschen. Das heiße Wasser stammte aus der Küche, der Junge hatte das Becken getragen, als wäre es Gold. Alles deutete daraufhin, daß es eine Gunstbezeugung war, heißes Wasser zu bekommen.
Chris hatte die Hilfe des Jungen abgelehnt und sich brav selbst abgeschrubbt. Die Schüssel war klein, und das Wasser wurde bald schwarz. Aber schließlich hatte er es geschafft, sich den Schlamm aus den Fingernägeln zu kratzen und sich den Körper sowie — mit Hilfe eines kleinen Metallspiegels, den der Junge ihm reichte – sogar das Gesicht zu waschen.
Schließlich erklärte er sich für zufrieden. Doch der Junge erwiderte mit betrübtem Gesicht: »Squire Christopher, Ihr seid nicht sauber.« Und er bestand darauf, den Rest zu erledigen.
So saß Chris eine Stunde lang, wie es ihm vorkam, zitternd auf dem hölzernen Hocker und ließ sich von dem Jungen schrubben. Chris war verblüfft; er hatte immer angenommen, daß die Menschen des Mittelalters schmutzig und stinkend seien, wie eingetaucht in den Dreck des Jahrhunderts. Doch
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