Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit
hinausschleichen, aber sie kann unmöglich ihr ganzes Gefolge heimlich hinausbringen. Wenn sie sich davonschleicht und nach England zurückkehrt – was ihr Wunsch ist —, wird Lord Oliver an mir und anderen ihres Haushalts Rache nehmen. Sie weiß das, und deshalb muß sie bleiben. Lord Oliver will, daß sie heiratet, und Mylady ersinnt Listen, um es hinauszuzögern. Es stimmt zwar, daß sie gerissen ist. Aber Lord Oliver ist kein geduldiger Mann, und er wird die Sache bald erzwingen. Jetzt liegt ihre einzige Hoffnung dort.« Sir Daniel ging zum Fenster und deutete hinaus.
Chris kam dazu und sah in die Richtung.
Von diesem hohen Fenster aus hatte er einen Blick über den Burghof und die Zinnen der äußeren Burgmauer. Dahinter sah er die Dächer der Stadt, dann die Stadtmauer mit den Wachen auf der Brustwehr. Und dahinter erstreckten sich Felder und offene Landschaft bis zum Horizont.
Chris sah Sir Daniel fragend an.
Sir Daniel sagte: »Dort, mein scolere. Die Feuer.«
Er deutete in die weite Ferne. Chris kniff die Augen zusammen und konnte gerade noch schwache Rauchsäulen erkennen, die sich im blauen Dunst auflösten. Sein Sehvermögen reichte kaum dazu aus.
»Das ist die Kompanie von Arnaut de Cervole«, sagte Sir Daniel. »Sie lagern nicht mehr als fünfzehn Meilen entfernt. In einem oder höchstens zwei Tagen werden sie hier sein. Alle wissen das.«
»Und Sir Oliver?« Chris kehrte wieder auf seinen Hocker zurück.
»Er weiß, daß diese Schlacht mit Arnaut heftig wird.«
»Und dennoch hält er ein Turnier ab –«
»Das ist eine Frage der Ehre«, erwiderte Sir Daniel. »Und bei der Ehre läßt Sir Oliver nicht mit sich spaßen. Certum, er würde es absagen, wenn er könnte. Aber er wagt es nicht. Und hierin liegt die Gefahr, die Euch droht.«
»Die mir droht?«
Sir Daniel seufzte und begann, auf und ab zu gehen. »Kleidet Euch nun an, damit Ihr Mylord Oliver in angemessener Weise die Aufwartung machen könnt. Ich werde versuchen, das drohende Unheil abzuwenden.«
Der alte Mann drehte sich um und verließ das Zimmer. Chris sah den Jungen an. Er hatte aufgehört zu schrubben.
»Was für ein Unheil?« fragte er.
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33:12:51
In gewisser Hinsicht krankt die heutige Mediävistik daran, daß es keine einzige zeitgenössische Abbildung des Innenraums einer Burg aus dem vierzehnten Jahrhundert gibt. Kein Gemälde, keine Buchillustration, keine Skizze — aus dieser Zeit gibt es überhaupt nichts. Die frühesten Darstellungen des Lebens im vierzehnten Jahrhundert stammen erst aus dem fünfzehnten Jahrhundert, und die dargestellten Interieurs — wie auch das Essen und die Kleidung – waren korrekt für dieses, nicht aber für das vierzehnte Jahrhundert. Als Folge davon weiß kein moderner Historiker, welche Möbel benutzt wurden, wie die Wände geschmückt waren oder wie die Menschen sich anzogen oder verhielten. Das Informationsdefizit ist so gewaltig, daß nach der Ausgrabung der Gemächer von König Edward I. im Londoner Tower die rekonstruierten Wände nur einen nackten Verputz erhielten, weil niemand sagen konnte, wie sie ausgesehen haben könnten.
Das ist auch der Grund, warum Künstlerrekonstruktionen des vierzehnten Jahrhunderts meist ziemlich triste Innenräume zeigen, Zimmer mit nackten Wänden, wenige Möbel – vielleicht ein Stuhl oder eine Truhe — und sonst kaum etwas. Das Fehlen zeitgenössischer Darstellungen wurde interpretiert als ein Hinweis auf die Kargheit des Lebens in dieser Zeit.
Das alles ging Kate Erickson durch den Kopf, als sie den Festsaal der Burg von Castelgard betrat. Was sie nun gleich sehen sollte, hatte kein Historiker je gesehen. Hinter Marek her schlüpfte sie durch die Menge. Und staunte, überwältigt von der Üppigkeit und dem Chaos, die sich vor ihr ausbreiteten.
Der Festsaal funkelte wie ein gigantischer Edelstein. Sonnenlicht strömte durch hohe Fenster auf Wände, auf denen golddurchwirkte Tapisserien leuchteten, so daß die Reflexionen auf der mit Rot und Gold bemalten Decke tanzten. Die eine Wand verdeckte ein riesiges, gemustertes Tuch: silberne Lilien auf dunkelblauem Hintergrund. Gegenüber hing ein Teppich mit der Darstellung einer Schlacht: kämpfende Ritter in vollem Ornat, die Rüstungen silbern, die Überwürfe blau und weiß, rot und gold, die flatternden Banner golddurchwirkt.
Am anderen Ende des Saals befand sich ein riesiger, reich verzierter Kamin, so groß, daß ein Mensch aufrecht hindurchgehen konnte, der geschnitzte Sims
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