Timoken und der Trank der Unsterblichkeit
fliegen!“
Zobaydas verzweifelte Stimme rüttelte Timoken auf. Mit letzter Willenskraft wünschte er sich vom Wasser fort. Ein tiefes Gurgeln wurde laut, ein wütendes Ächzen folgte und die eisigen Klauen lockerten langsam ihren festen Griff. Im selben Augenblick sanken zwei gigantische Krabben unterhalb der Wasseroberfläche auf den Grund des Meeres.
Timoken und seine Schwester schwebten noch eine Weile über den Wellen, bis ihre Füße schließlich das sandige Ufer berührten. Timoken seufzte erleichtert und ließ sich in den trockenen Sand fallen. Zobayda legte sich neben ihn und Hand in Hand schliefen sie ein.
Anfangs war der Sand noch warm von der Sonne. Doch je weiter es auf Mitternacht zuging, desto kälter wurde es. Zitternd wachten die Kinder auf. Sie hatten das verborgene Königreich nur in ihren dünnen Kleidern verlassen und nichts dabei, was sie vor der Kälte hätte schützen können.
Hastig zog Timoken ein Kleidungsstück nach dem anderen aus dem Ziegenlederbeutel. Doch alle Gewänder waren aus feinster Seide gesponnen. Als die Königin den Beutel gepackt hatte, war sie zu verzweifelt gewesen, um an frostige Nächte zu denken. Schließlich holte Timoken das Mondspinnennetz hervor und schüttelte es aus. Ein riesiges Gespinst aus funkelnden Fäden entfaltete sich in der Luft, legte sich sanft über die Kinder und hüllte sie wie eine warme Decke ein.
„Unsere Mutter hat gesagt, es sei magisch“, erinnerte sich Zobayda.
Timoken betrachtete nun aufmerksam das schimmernde Netz. Genau in der Mitte, wo die Fäden zusammenliefen, erblickte er ein merkwürdiges Gesicht. Es hatte riesige safrangelbe Augen, eine lange Nase und einen schmalen Mund, der zu lächeln schien.
„Wer bist du?“, fragte Timoken flüsternd.
„Ich bin der letzte Wald-Dschinn“, antwortete eine melodische Stimme. „Und ich habe dich zu etwas Besonderem gemacht. Glaube an dich, Timoken. Dein Weg ist lang und voller Gefahren, doch wenn du mich sicher verwahrst, wirst du überleben. Meine Gaben sind zahlreich.“
„Wohin starrst du da?“, fragte Zobayda schläfrig. Sie zog die Beine unter das Netz und mit flackernden Augen verschwand das kleine Gesicht.
Bevor Timoken erklären konnte, was er gesehen hatte, bemerkte er, dass sie beobachtet wurden. Hinter ihnen knirschte es im Sand und plötzlich waren sie umzingelt. Eine Gruppe Krieger blickte auf die Geschwister herab. Ihre bemalten Speere glänzten im Mondlicht, doch ihre Gesichter waren von großen Federhüten verdeckt, sodass Timoken nur ihre Augen sehen konnt e – ängstliche, staunende Augen.
Die Männer begannen aufgeregt zu tuscheln. Zuerst konnte Timoken sie nicht verstehen, doch dann ergaben ihre seltsamen, gemurmelten Worte für ihn einen Sinn.
„Es schmerzt in meinen Augen“, sagte einer der Krieger.
„Es brennt in meinem Gesicht“, sagte ein anderer.
„Ich bekomme keine Luft mehr“, keuchte ein dritter.
Die Krieger wichen zurück, nur einer von ihnen richtete seinen Speer auf die Kinder. Zobayda und Timoken kreischten vor Angst auf und zogen das Netz instinktiv bis zu ihrem Kinn hoch. Der Mann stieß ein wildes Schnauben aus und schob seinen Speer immer näher an ihre Gesichter. Timokens Herz hämmerte wild in der Brust, während er darauf wartete, dass die Waffe seinen Hals durchbohrte. Doch in dem Moment, als der Speer das Netz berührte, blitzte es hell auf. Der Krieger schrie vor Schmerzen, sprang zurück und ließ den Speer fallen.
„Teufelskinder!“, zischte er und ergriff die Flucht.
Sofort brachen auch die anderen Krieger in ein schreckliches Geheul aus und flohen ebenfalls. Die Geschwister hörten noch, wie sie durch den tiefen Sand davonstolperten, bis ihre Schritte von der Stille der Wüstennacht verschluckt wurden.
„Das Netz hat uns das Leben gerettet“, stellte Zobayda staunend fest und starrte auf die schimmernde Decke aus Spinnenseide.
„Das Netz wird uns immer beschützen“, erwiderte Timoken und ließ erschöpft den Kopf auf den Sand sinken.
Den Rest der Nacht schliefen die Kinder tief und fest. Als sie am Morgen erwachten, fanden sie sich in einer Landschaft wieder, die aus riesigen Sanddünen bestand. Timoken rannte auf die Spitze einer Düne und sah sich um. Die Wüste erstreckte sich in goldenen Wellen zu allen Seiten bis zum Horizont. Nichts regte sich. Nicht ein Grashalm war zu sehen, es gab keinen einzigen Baum und nicht die Spur von Wasser. Die Fußspuren der Krieger waren vom Wind verweht, sodass es unmöglich
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