Timoken und der Trank der Unsterblichkeit
ab und musterte das pelzige Köpfchen.
„Timoken, komm weiter!“, rief Zobayda. „Diese Wüstenratten werden dir wohl nichts erzählen können.“
Ganz im Gegenteil, dachte Timoken. Er lächelte das Geschöpf freundlich an und die Miene des Tieres schien einen sanfteren Ausdruck anzunehmen. Es zog sich aus dem Sand, setzte sich auf die Hinterbeine und sagte: „Gute Reise!“
„Vielen Dank“, antwortete Timoken.
„Timoken!“ Zobayda war ihrem Bruder bereits ein ganzes Stück voraus. Doch was nutzte die Eile, wenn sie nicht wussten, wohin sie gingen? Es konnte weitaus nützlicher sein, mit jemande m – oder etwa s – zu sprechen, der oder das die Wüste kannte.
Timoken kniete sich neben das Tier. Jetzt tauchten auch seine Gefährten aus dem Sand auf, drehten Timoken die Köpfe zu und schnüffelten neugierig in der Luft herum.
Timoken räusperte sich und fragte: „Was seid ihr für Tiere?“ Er war überrascht zu hören, dass die Worte seinen Mund als leise Quieklaute verließen.
„Wir sind wir“, erwiderte das Geschöpf.
Nun gab es keinen Zweifel mehr. Timoken verstand die Sprache des Tieres.
„Andere nennen uns Sandratten“, fuhr das Geschöpf fort.
„Sandratten“, wiederholte Timoken. „Ich bin ein Mensch. Mein Name ist Timoken.“ Er zeigte auf Zobayda, die entschlossen weitergestapft war. „Und das ist meine Schwester.“
Die Sandratte sah Zobayda hinterher. „Sie geht den falschen Weg“, sagte sie. „Folge ihr nicht.“
Timoken runzelte die Stirn. „Den falschen Weg? Woher weißt du das?“
„In dieser Richtung gibt es böse Geister“, quiekte die Sandratte. „Viridees.“
„Viridees!“, wiederholten die anderen Sandratten im Chor und plötzlich waren sie verschwunden. Alles, was zurückblieb, waren kleine Häufchen aus Sand.
„Halt an, Zobayda!“, rief Timoken. „Das ist der falsche Weg.“
„Woher willst du das wissen?“, rief sie zurück.
„Die Sandratte hat es mir gesagt.“
Zobayda blieb wie angewurzelt stehen. Sie drehte sich abrupt um und starrte ihren Bruder an. „Das kann nicht wahr sein.“
„Ist es aber, Zobayda.“
Timokens Schwester lief langsam zu ihm zurück. „Willst du damit sagen, du kannst ihre Sprache verstehen?“
Timoken nickte. „Und ich kann ihre Sprache sprechen. Sie hat mir erzählt, dass es in dieser Richtung böse Geister gebe. Sie nannte sie Viridees.“
Der zweifelnde Gesichtsausdruck seiner Schwester wich einer erstaunten Miene. „Du kannst tatsächlich mit Tieren sprechen“, stellte sie fest. Ihre Augen waren vor Ehrfurcht weit aufgerissen. „Was kannst du noch, Timoken?“
„Wer weiß?“ Timoken grinste, hob den Ziegenlederbeutel auf und balancierte ihn auf dem Kopf. „Lass uns ostwärts gehen“, schlug er voller Zuversicht vor.
Sie sahen einen blassen Halbkreis über den Sanddünen im Osten aufsteigen und gemeinsam liefen sie dem Mond entgegen.
Es war schon fast dunkel, als sie es sahe n – ein dunklerUmriss am Horizont, der immer größer wurde und sich schwankend auf sie zubewegte. Zobayda drehte sich um und wollte wegrennen, doch Timoken griff nach ihrer Hand und sagte: „Es wird uns einholen und dann sind wir zu erschöpft, um zu kämpfen. Außerde m …“
„Außerdem?“, fragte Zobayda.
„Wissen wir nicht, was es ist.“
So standen sie dicht beieinander und warteten, während die Gestalt immer näher kam. Jetzt konnten sie riesige Zähne, hervortretende Augen und große, galoppierende Hufe erkennen. Und dann stieß die Gestalt ein Geräusch aus, ein langes, schnaubendes Brüllen wie von einem Wesen aus der Unterwelt.
Zobayda ließ sich auf die Knie fallen und begann zu weinen. „Wir hätten doch wegrennen sollen, Timoken.“
Sandsturm
Es war ein Kamel. Ein Geschöpf, das Timoken als Bild an den Mauern des Palastes, aber noch nie leibhaftig vor sich gesehen hatte. Das riesige Tier schien aufgebracht zu sein. Es kam direkt auf die Kinder zu und warf den Kopf von einer Seite zur anderen, während sein ohrenbetäubendes Gebrüll immer lauter wurde. Lange Speichelfäden baumelten aus seinem herabhängenden Kiefe r – und diese Zähne! Und erst die Hufe!
„Steh auf, Zobayda!“, zischte Timoken. „Oder du wirst niedergetrampelt.“ Er ließ den Wasserbeutel auf den Boden gleiten, griff nach der Hand seiner Schwester und zog sie wieder auf die Beine.
Das Kamel verringerte sein Tempo, stieß ein heiseres Blöken aus und stapfte auf die Kinder zu. Zobayda linste zitternd hinter ihrer Hand
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