Tina und Tini 06 - Das Geheimnis des Gaertners
Route, die wir damals alle gemeinsam gereist sind. Und natürlich muß ich viel an Euch und Euer Abenteuer denken. Diesen Brief werde ich auf der Insel Gran Canaria zur Post bringen.
Weißt Du noch, wie Ihr mit der verrückten Amerikanerin und ihren drei Enkelsöhnen in rasendem Tempo die ganze Insel besichtigt habt?
„Und ob ich das weiß!“ kicherte Tina. „Mrs. Henford mit den lila Haaren und der brillantenbesetzten Schmetterlingsbrille.“
„Wie sie in ihrem Reiseführer alles abgehakt hat — wie auf einer Einkaufsliste“, bestätigte Tobbi schmunzelnd. „Lies weiter!“
Übrigens soll ich Euch noch von einem alten Freund grüßen. Ihr erinnert Euch doch an Uwe — den Steward, der Euch immer das Abendessen in Vatis Salon serviert hat. Uwe spricht oft von Euch und fragt mich, wann Ihr wieder mal eine Reise mitmachen werdet. Ich habe ihn auf die Sommerferien vertröstet. Dann soll die ‘Lucia’ die Nordlandroute befahren.
„Geht es euch auch so?“ fragte Tobbi mit verzücktem Gesicht. „Ich höre lauter Glocken klingen. ,Lucia’ — Sommerferien — die Nordlandroute...“
„Ein Gefühl wie Weihnachten“, Tina schnurrte wie ein Kätzchen. „Nur noch ein bißchen schöner...“
Jetzt muß ich schließen und mich kostümieren. Heute abend findet an Bord der ‘Seeräuberball’ statt. Wie schade, daß Ihr nicht dabei sein könnt. Alles Liebe, mein kleines Mädchen, halt die Ohren steif. Schreib mir nach Lissabon.
Vati läßt sehr grüßen — auch Deine Freunde! Es denkt sehr an Dich — Deine
„Seeräuberball — davon kann man hier nicht mal träumen“, stöhnte Tina. „Gibt es etwas Langweiligeres als ein Internat?“ Tobbi stand auf und reckte sich. Gähnend schlenderte er zum Fenster hinüber und starrte in den unaufhaltsam strömenden Regen hinaus.
„Komisch, daß Abenteuer immer nur in den Ferien passieren. Hier im Landschulheim hat es noch nie etwas Außergewöhnliches gegeben. Alles läuft ab wie das Räderwerk einer Uhr.“
„Ja — einer Uhr, die doppelt so langsam schleicht wie normale Uhren“, pflichtete ihm Tini bei. „Bis zu den nächsten Ferien ist es noch eine Ewigkeit.“
„Glaubst du, es könnte klappen — mit der Nordlandfahrt?“ fragte Tina sehnsüchtig.
„Wenn Mutti es schon schreibt — umsonst würde sie uns sicher nicht den Mund wässerig machen. Sie weiß doch, wie enttäuscht wir dann wären.“
„Da hast du recht.“
„Nun — dann haben wir doch jetzt wenigstens etwas, auf das wir uns freuen können“, sagte Tobbi. „Tschüs, ihr beiden, ich mach mich an die Arbeit. Muß morgen in Geschichte ein Referat halten und noch eine Menge Vokabeln pauken.“
„Ja, für uns wird es auch Zeit. Bis später!“ Tina winkte dem Bruder nach und zog die Freundin mit sich fort. „Warst du schon mal in Norwegen?“ fragte sie Tini auf der Treppe.
„Nein, noch nie.“
„Wir müssen unbedingt sehen, ob in der Bibliothek Bücher über die skandinavischen Länder stehen. Wenn ich mit den Hausaufgaben fertig bin, gehe ich hinüber.“
Der verspätete Weihnachtsmann
An diesem Tag kam Tina nicht mehr dazu, in die Bibliothek zu gehen. Monika hatte von ihrer Großmutter ein Paket mit Kuchen bekommen, als Belohnung für die erste Eins in Latein. Und wenn man Monika kannte, wußte man, daß sie diesen Kuchen verdient hatte. Monika konnte zwar wunderschöne Aufsätze schreiben, und in Geschichte und Geographie war sie ein wandelndes Lexikon, aber Latein zu lernen kam ihr ungefähr so vor, als hätte man sie in der Arktis auf einer Eisscholle ausgesetzt mit dem Auftrag, ein Dutzend Robben zu fangen und in den Frankfurter Zoo zu transportieren. So sehr sie Vokabeln und Grammatik auch paukte, über Nacht schienen die Wörter wie in ein unergründliches Meer hinuntergetaucht zu sein — es war zum Verzweifeln.
Diese Eins war nun also wirklich ein Grund zu feiern! Und weil das auch die Hausmutter eingesehen hatte und eine Kanne Kakao spendierte, wurde es ein ausgelassenes Fest.
Erst am nächsten Tag in der Deutschstunde erinnerte sich Tina wieder daran, was sie vorgehabt hatte. Fräulein Bäumler, die Deutschlehrerin, hatte unvorsichtigerweise das Wort „Ferien“ fallenlassen. „In den letzten Ferien war ich in Torquay — und da habe ich gesehen, wie...“ Was Fräulein Bäumler in Torquay gesehen hatte, erreichte Tina nicht mehr, nur das Wort „Ferien“ fiel wie ein schwerer warmer Regentropfen in ihr Bewußtsein, und in Sekundenschnelle befand sich
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