Tine
ein Buch lesen. Mittags in der City eine Kleinigkeit essen. Nachmittags ein Möbelstück frisieren und abends ins Kino oder in die Stammkneipe ums Eck. Ich glaube, ich bekomme eine Blase an meiner linken Ferse und humpele zum Anführer, um ihn zu fragen, wie lange er vorhat, uns noch durch die Weinberge zu jagen.
»Keine Kondition mehr?«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage. Also?«
»Das Ziel liegt hinter dem Hügel. Sag du mir, wann wir dort ankommen.«
Ich verfluche Franka und schwöre mir, niemals wieder etwas anzunehmen, das mir gratis angeboten wird.
Mittlerweile zeigt sich die Sonne und die Temperatur ist auf gute 25 Grad angestiegen. Ich schwitze wie ein Bulle und habe einen unbeschreiblichen Durst. Sollte mir nicht einer der Jungs sofort ein Wasser reichen, werde ich auf der Stelle ohnmächtig. Fred spendiert einen Schluck aus seiner Flasche und mein verschwommener Blick klärt sich langsam wieder. Ich erkenne ein Gebäude in der Ferne, das sich nach weiteren 30 Minuten Fußmarsch als eine Scheune zu erkennen gibt. Auf dem Hof parkt ein Trecker, auf dessen Anhänger unsere Gepäckstücke liegen. Der Duft von warmen Essen erreicht meine Nase und ich meine, in dem jungen Mann, der vor einer dampfenden Gulaschkanone steht, den Kellner vom Morgen wiederzuerkennen. Ohne einen weiteren Blick nach links oder rechts zu werfen, lasse ich mich erschöpft auf einen Stuhl vor der großen Tafel fallen. Das war’s. Keinen Meter weiter.
»Ins Hotel lasse ich mich mit dem Taxi fahren.«
»In welches Hotel?«, fragt Ansgar und diesmal grinst er nicht nur, sondern lacht mich laut aus. »Wir sind am Ziel. Dein Hotel, wie du es nennst, ist diese Scheune. Du teilst dir den Dachboden mit rund zwanzig Erntehelfern aus aller Welt. Keine Sorge. Männer und Frauen schlafen getrennt. Allerdings gearbeitet wird ab morgen gemeinsam. Was sagtest du noch? Pflücker oder Träger?«
Gearbeitet? Ab morgen? Erntehelfer? Massenunterkunft in einer Scheune? Vermutlich hat Ansgar einen Scherz gemacht und revanchiert sich nur für meinen bösen Spruch mit den Kopfschmerztabletten.
»Lecker Kartoffelsuppe«, höre ich Fred rufen.
»Gegessen wird erst, wenn alle Arbeiter zur Pause erschienen sind«, sagt der Patron, der mir gestern Abend noch den Schlüssel für meine feudale Suite reichte. Was ist das hier? Versteckte Kamera oder ein neues RTL Format a la Dschungelcamp nur ohne Promis? Mein Gesichtsausdruck scheint Mitleid zu erregen. Der dicke Hesse, dessen Namen ich nicht behalten kann, flüstert mir zu, ich solle auf keinen Fall den Trägerjob annehmen.
»Die Körbe wiegen vollbeladen rund 50 kg. Das wirst du bei deiner zarten Statur auf Dauer nicht bewältigen.«
»Bist du gar nicht verwundert? Sag bloß, du hast gewusst, dass wir hier als billige Arbeitskräfte missbraucht werden sollen. Ich denke, das hier ist ein Manager Seminar?«
Gernot mischt sich lachend ein. Er erklärt mir, dass die Idee für diese besondere Art der Weiterbildung von der Konzernspitze angeordnet wurde.
»Dort hegt man die Befürchtung, dass wir Berater aufgrund der hohen Boni die Bodenhaftung verlieren. Back to the Roots, lautet das Motto. Wir sollen erfahren, wie mühsam es ist, sich mit seiner Hände Arbeit sein Geld verdienen zu müssen.«
Das brauche ich nicht zu lernen. Das beherrsche ich bereits in Perfektion. Gerade überkommt mich eine unbeschreibliche Wut auf Franka. Das war doch ein abgekartetes Spiel. Von wegen Termine. Sie hat mich bewusst hierher geschickt, weil ihr klar war, dass sie es hier nicht einen Tag lang durchhalten würde. Na, warte!
Die Kartoffelsuppe ist lecker und meine Bettnachbarin heißt Ursula und kommt aus Polen. Ich werde in unserem Etagenbett unten schlafen. Aber zunächst kümmere ich mich um meine geschundenen Füße. Zwei geborgte Pflaster zieren meine Fersen und ich nehme mir meine offenen Pantoffel aus dem Koffer. Am Abend sitzen wir mit rund vierzig Leuten zusammen auf dem Hof. Die Männer aus Rumänien haben ein Lagerfeuer entfacht. Die Umgangssprache ist Englisch und ich lasse mir Herkunft, Namen und den Grund ihrer Anwesenheit in aller Ausführlichkeit erklären. So ein gemischtes Völkchen. Jung, alt, Studenten, Rentner, Männer, Frauen und alle sind freundlich und aufgeschlossen. Ich bin richtig froh, dass ich geblieben bin.
»Ja, genieße deinen ersten Abend. Morgen wirst du völlig erschöpft ins Bett fallen. Wer diese Arbeit nicht gewohnt ist,
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