Tine
Kabeljau
Man kann ja sagen, was man will. Aber früher gab es noch so etwas wie Pietät, wenn es um den Tod eines Menschen ging. Mit einer schwarz gerahmten Anzeige in der hiesigen Tageszeitung wurden Freunde, Bekannte, Kollegen und Nachbarn über das Ableben eines mehr oder weniger geliebten Mitmenschen informiert. Es folgte eine Trauerfeier mit anschließender Erdbestattung und vielen Blumenkränzen. Die Schleifen trugen Aufdrucke wie, In stiller Trauer, In Liebe, In tiefer Dankbarkeit oder einfach nur Ruhe sanft. Die Trauergemeinde war akkurat in schwarz gekleidet und die Gesichter zeigten offen zur Schau getragene Betroffenheit. Anschließend ging es in das Lokal, das dem Friedhof am nächsten gelegen war. Bei Kaffee, Schnaps und Kuchen löste sich die beklemmende Stille nach und nach auf, und die Veranstaltung mündete in eine angeregte Unterhaltung zwischen Menschen, die sich seit langer Zeit endlich einmal wieder trafen. So kenne ich es und so habe ich es bisher erlebt. Bisher. Mittlerweile scheint es Gang und Gebe zu sein, das Ableben eines Angehörigen einfach bei Facebook zu posten und eine Grube für den Sarg wird auch nicht mehr ausgehoben. Man entscheidet sich für eine Urnenbeisetzung, möglichst anonym, weil das deutlich billiger ist und die traditionelle Trauerfeier weicht einem lockeren Beisammensein.
Das Beisammensein, dem ich gestern beiwohnte, ähnelte eher einer ausgelassenen Silvesterparty. Es fehlten nur noch bunte Luftballons, Papierschlangen, Konfetti und ein lautes Feuerwerk. Meine Freundin Jette, deren Mann Dieter am letzten Montag verstarb, hatte zu einem Umtrunk eingeladen. Ausgerechnet in das Clubhaus der hiesigen Feuerwehr, in dem wir vor fünfzehn Jahren ihren Polterabend feierten. Es gab keinen Kaffee und keinen Butterkuchen, sondern Chili con Carne, Fassbier und reichlich Tequilla. Wie passend. Denn der Verstorbene war ein passionierter Weintrinker und hasste alle Gerichte, die mit Hackfleisch zubereitet wurden. Jette forderte den Diskjockey auf, die Musik lauter zu stellen. Wenn sie jetzt auch noch auf dem Tisch tanzen will, muss ich sie zur Ordnung rufen, dachte ich und schickte ihr einen ermahnenden Blick über den Tisch. Dass sie über den Verlust ihres Ehemannes erleichtert und glücklich war, wussten meine zweite beste Freundin Franka und ich nur zu gut. Denn wir wissen alles von einander. Und das schon seit unserem zwölften Lebensjahr. Seitdem ist unser Weiber Trio unzertrennlich.
Das fröhliche Benehmen der Witwe wirkte auf die anderen Anwesenden recht befremdlich. Natürlich. Denn sie wissen ja nicht, was sich im Hause Lüders tatsächlich Tag für Tag abspielte. Schon bei einem Bruchteil einer Ahnung, hätten sie gesagt »Was? Der nette Dieter? Unmöglich! Er war doch immer so freundlich und hilfsbereit.« Nein, das war er nicht. Er war launisch, unberechenbar, jähzornig und hatte nur seinen eigenen Vorteil im Sinn. Er war das Paradebeispiel für einen ausgewachsenen Stinkstiefel. Seit Jahren redete ich auf unsere Freundin ein, sich endlich von ihm zu trennen. Aber Scheidung kam für Jette nicht in Frage. Für Franka schon. Sie löste sich nach zwölf Jahren aus ihrer Ehe und schickte Knut in die Wüste. Nach einem kurzen Rosenkrieg einigten sich die beiden außergerichtlich, mit dem Ergebnis, dass sie das Haus und die Firma bekam. Im Gegenzug durfte er seine Eier behalten, worüber sich seine hochschwangere Geliebte sicherlich freute.
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht schilderte Jette Dieters Kollegen seine letzten Minuten. Für ihre Darbietung erhob sie sich extra vom Stuhl und beschrieb den Vorgang wild gestikulierend.
»Wir aßen zu Abend. Es gab sein Lieblingsessen. Kochfisch mit Senfsoße. Plötzlich lief er rot an. Dann wechselte die Farbe in tiefes Blau und sein Kopf nahm den Umfang eines Medizinballes an. Er röchelte: Jette, ich bekomme keine Luft mehr.....Er hatte sich an einer Grete verschluckt. Das war’s.«
Was danach geschah, behielt sie Gott sei Dank für sich. Denn statt einen Krankenwagen zu rufen, schrieb sie Franka und mir eine SMS.
Ich glaube Dieter erstickt gerade. Kommt schnell her und schaut euch das Spektakel an.
Als ich eine viertel Stunde später eintraf und über die geöffnete Terrassentür ins Wohnzimmer stürmte, beugte sie sich mit einem Glas kühlen Chablis über ihren regungslosen Göttergatten und schüttelte verärgert den Kopf.
»Typisch. Heute ist nun wirklich mal ein Freudentag und ich habe keinen
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