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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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geliebt, weil du sie geliebt hast, Jacomo», gestand sie mir eines Nachmittags auf dem See,«aber sie hat mir nie wirklich gehört, und jetzt, da sie mich verlassen hat, empfinde ich keine Trauer. Nie hätte sie mein Lebensinhalt werden können. Nie habe ich mich in dem, was ich tat, in meinen Bildern ganz und gar wiedererkennen können. Vielleicht liegt es daran, dass ich eine Frau bin oder nie eine wahrhaftige Künstlerin war. Du wolltest es zwar, und ich habe versucht, es dir vorzuspielen, aber ich schaffte es nicht. Ich weiß, dass du mir vergeben hast und dass es dir nicht mehr wichtig ist. Du hättest auf alle verzichten können, selbst auf uns und auf mich. Tatsächlich brauchen tust du uns nicht. Du genügst dir selbst. Du bist die Welt. Aber ich bin nicht so. Eines Tages entdeckte ich auf einmal eine große Leere in mir. Auf verschiedenste Weise habe ich versucht, sie zu füllen, aber die Leere ist immer nur größer geworden. Es verlangte mich nach etwas anderem, aber ich wusste nicht wonach. Was auch immer es ist, nun will ich es nicht mehr. Und ich trauere weder Marco noch dem Kind hinterher, wenn du es genau wissen willst. Frag mich nichts, ich habe keine Antworten, meine
Leere ist randvoll. Vor vielen Jahren hast du mir in dem Holzlager einmal gesagt, dass wir unserem Leben eine vollendete Form geben müssten, bevor wir vom Tod überrascht würden. Der Tod überrasche den Bäcker, während er den Hefeteig in den Ofen schiebt, den Soldaten in der Schlacht, den Schauspieler auf der Bühne und den Maler vor der Staffelei. Und du, Marietta - fragtest du mich -, wobei soll er dich überraschen? Überleg es dir gut, bevor du mir antwortest, denn in der Antwort liegen deine Wahrheit, der Sinn deines Lebens und deine Glückseligkeit verborgen. Damals wusste ich keine Antwort. Heute wüsste ich sie - ich will nichts anderes als hierbleiben, mit dir.»
    Im Juni stellten wir unsere Bootsausflüge vollständig ein. Marietta hielt sich nur noch in unseren Gemächern auf. Fortwährend erkundigte sich der Herzog nach ihren Wünschen und ihrem Gesundheitszustand. Er ließ uns Kirschen, Pfirsiche und Wildbret bringen. Aber sie schaute sich alles nur an. Das Angebot, sich vom Leibarzt des Herzogs, einem Mann, der unglaubliche Krankheiten geheilt hatte, untersuchen zu lassen, lehnte Marietta ab. Dominico schrieb mir immer besorgtere Briefe, in denen er mich aufforderte, unbedingt nach Hause zurückzukehren: Marco, die Nonnen, die Mädchen, meine Frau, auch die Bilder bräuchten mich dringend. Ich sei die Stütze und der Motor der Welt - die Sonne am Himmelszelt, ob ich das vergessen hätte? -, ich könne die Planeten nicht einfach in der Dunkelheit zurücklassen, ansonsten würde alles erlöschen. Ich antwortete ihm, dass ich zurückkäme - und zwar bald.
    Am Ende verließ auch ich unsere Gemächer nicht mehr. Nicht einen Augenblick ließ ich sie aus den Augen - erst als sie in Schlaf versunken war, fiel mir wieder ein, etwas zu essen, mich zu rasieren und zu waschen. Es war wieder wie damals, als sie in dem Holzlager war und es nach Harz und Aloe roch. Nur dass ich dieses Mal leider keine Salbe hatte, mit der ich ihr Herz einreiben konnte, und auch keine Hoffnung. Die Tage glitten so rasch
vorüber, dass ich aufhörte, sie zu zählen. Sie schlief zwar viel, aber wenn sie die Augen öffnete, konnte sie sich sicher sein, dass ich da war. Niemals hätte ich sie allein gelassen, Herr. Nur wenn sie es gewollt hätte. Ich kämmte ihr Haar, wechselte ihre Bluse. Mit einem Schwamm wusch ich Arme und Stirn. Auch ihren Nachttopf leerte ich, alles tat ich. Nichts widerte mich an, im Gegenteil. Sie stieß ihren Körper ab - ich nahm mich seiner an. Mir hatte sie ihn anvertraut. Möglicherweise war das schon immer der Fall gewesen, nur dass ich ihn nicht anzunehmen wusste.
    Ihre Hände wurden immer kälter. Nichts konnte sie aufwärmen, noch im Juli heizte ich den Kamin. Die im Feuer prasselnden Holzscheite erinnerten mich an das Knacken meiner Zimmerdecke, wenn sie oben entlangschritt - es schien mir Jahrzehnte zurückzuliegen und war doch erst gestern gewesen. Am Ende waren wir allein, als das Feuer ausging und ihre Hände, kalt wie Schnee, in meinen ruhten. Ich küsste ihre Finger, als könnte ich ihnen meine Wärme einflößen.«Lass mich gehen, Jacomo», sagte sie zu mir, und ich ließ sie gewähren.
     
    Ich zog ihr weiße Kleider an und brachte sie nach Hause. Der Herzog stellte mir einen Schleppkahn mit einem Baldachin aus

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