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Titan 02

Titan 02

Titel: Titan 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl , Wolfgang Jescke
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Schwester Mary schrill. »Und wie nennst du das jetzt?«
    Bruder Raymond erklärte steif: »Ich meine Nacht nach der Uhr. Die richtige Nacht.«
    »Die Uhr… «, seufzte Schwester Mary und ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Wenn wir nicht die Uhr hätten, würden wir alle verrückt werden.«
    Bruder Raymond blickte durchs Fenster hinüber zur Segensklippe, auf der die große Uhr stand, mittlerweile in der Dunkelheit nicht mehr erkennbar. Schwester Mary trat neben ihn; gemeinsam starrten sie in die Nacht hinaus. Schließlich seufzte Mary. »Es tut mir leid. Liebster. Ich bin eben doch ein bißchen mit den Nerven herunter.«
    Raymond tätschelte ihr die Schulter. »Es ist kein Vergnügen, auf Gloria leben zu müssen.«
    Mary schüttelte entschieden den Kopf. »Ich dürfte nicht die Beherrschung verlieren. Wir müssen immer an die Kolonie denken. Pioniere dürfen keine Schwächlinge sein.«
    Sie standen eng beisammen, suchten Trost in der Nähe des anderen.
    »Schau!« Raymond zeigte hinaus. »Ein Feuer, oben im alten Dorf!« Verwirrt blickten sie zu dem fernen Lichtpunkt hinüber.
    »Sie sollten doch alle unten in Neustadt sein«, murmelte Schwester Mary. »Aber vielleicht veranstalten sie irgendeine Feier… Das viele Salz, das sie von uns bekommen haben…«
    Mit säuerlichem Lächeln äußerte Raymond eine der Grundtatsachen des Lebens auf Gloria. »Man kann nie sicher sein, was die Streuner gerade tun. Denen ist alles zuzutrauen.«
    Bedrückt sprach Mary eine noch fundamentalere Wahrheit aus. »Man kann bei dieser ganzen gräßlichen Welt nie sicher sein, was passieren wird.«
    »Besonders mit den Streunern… Sie wollen jetzt sogar ohne unseren Trost und Beistand sterben!«
    »Wir haben unser Bestes getan«, sagte Mary. »Es ist nicht unsere Schuld!« - Es klang, als fürchtete sie genau das.
    »Niemand kann uns doch dafür verantwortlich machen.«
    »Außer der Inspektor… Mit den Streunern stand alles zum besten, bevor unsere Kolonie entstand.«
    »Wir haben sie nicht gestört, unterdrückt oder bedrängt. Im Gegenteil, wir haben uns die Hände wund gearbeitet, um ihnen zu helfen. Und zum Dank reißen sie unsere Zäune nieder und zerstören den Kanal und werfen Schlamm auf unsere frischgetünchten Häuser!«
    »Manchmal hasse ich die Streuner…«, sagte Schwester Mary leise. »Manchmal hasse ich Gloria. Manchmal hasse ich die ganze Kolonie.«
    Bruder Raymond zog sie an sich und strich ihr über das goldblonde Haar, das sie zu einem gepflegten Knoten aufgesteckt trug. »Dir wird gleich viel wohler sein, wenn eine der Sonnen aufgeht. Wollen wir aufbrechen?«
    »Es ist dunkel«, meinte Mary widerstrebend. »Gloria ist während des Tages schon schlimm genug.«
    Raymond schob energisch das Kinn vor und schaute in Richtung der Uhr. »Es ist Tag. Nach der Uhr ist es Tag. Sie verkörpert die einzige Realität, auf die wir uns verlassen können. Wir müssen uns an sie halten! Nur so können wir Ordnung und Vernunft in diese chaotische Welt bringen!«
    »Also gut«, sagte Mary. »Gehen wir.«
    Raymond küßte sie auf die Wange. »Du bist sehr tapfer, Liebste. Unsere Kolonie kann stolz auf dich sein.«
    Mary schüttelte den Kopf. »Nein, Liebling. Ich bin nicht tüchtiger oder tapferer als irgendeiner von den anderen. Wir sind hierher gekommen, um eine neue Heimstätte zu finden und nach der göttlichen Wahrheit zu leben. Wir wußten, daß uns harte Arbeit erwartete. Von jedem einzelnen von uns hängt so viel ab; wir dürfen uns keine Schwächen leisten.«
    Raymond küßte sie nochmals, obwohl sie lachend protestierte und den Kopf abwendete. »Ich finde trotzdem, daß du tapfer bist - und eine Prachtfrau.«
    »Nimm die Lampe mit«, sagte Mary. »Nimm ein paar Lampen mit. Man weiß nie, wie lange diese - diese unerträglichen Dunkelzeiten dauern.«
    Sie traten auf die Straße und marschierten los - private Kraftfahrzeuge wurden in ihrer Kolonie als unsozial angesehen. Deshalb mußten sie alle Wege außerhalb der Siedlung zu Fuß machen. In der Dunkelheit vor ihnen erhob sich das Grande Montagne genannte Bergland, das Reservat der Streuner. Sie konnten die massigen Felsen zwar nicht sehen, aber sie fühlten sie, genauso wie ihnen die Existenz der ordentlichen Felder, Zäune und Straßen der Kolonie instinktiv bewußt war. Sie überquerten den Kanal, der den sich dahinschlängelnden Bach in ein System von Bewässerungsgräben ableitete. Raymond leuchtete mit seiner Lampe in das betonierte Kanalbett. Beide schwiegen bei

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