Tochter des Glueck
sollten. Yong müsste sich eigentlich zu Tode schämen, aber sie wurde ja schon vor der Kommune so gedemütigt, dass es ihr nichts ausmacht, mich in diesem intimsten aller Momente dabeizuhaben.
»Alle Kriege sind grausam, besonders für Frauen«, fährt Yong stockend fort. »Doch für uns war das Leben auch vor dem Befreiungskrieg und der Landreform nicht gerade schön. Wir kamen in dieses Haus als Ehefrauen, als Spielzeug zur Unterhaltung und als Dienerinnen …«
»Meine Eltern waren arm«, wirft Kumei ein. »Ärmer als die Familie deines Mannes.« Sie lässt mir keine Zeit, etwas zu sagen. »Als ich klein war, gab es eine schlimme Hungersnot. Fandest du diesen Winter schlimm? Er war nicht annähernd so schrecklich wie damals, als ich fünf war. Als mein Bruder starb, hieß es, ich würde nun dem Gebieter gegeben, damit wir die Sterbesteuer bezahlen konnten. Sie sagten, ich würde ›zum Wohltäter gehen‹, aber ich wusste nicht, was sie damit meinten oder was von mir verlangt würde. Ich wurde in den zweiten Hof gebracht und sollte meine Stirn auf seine Füße und die der Frauen im Haushalt, die gebundene Füße hatten, legen. Er war fünfzig.«
Ich halte mir die Hand vor den Mund, um meine Überraschung zu verbergen, als mir klar wird, warum Sung-ling Kumei ausgewählt hat, in unserem Propagandastück die Jungfrau zu spielen, und warum der Kader so geduldig war, als meine Freundin den Text nicht auswendig konnte. Genossin Ping-lis Ehemann war nicht der Einzige, der an diesem Abend öffentlich kritisiert wurde. Auch Kumei wurde dazu gebracht, ihre Geschichte zu erzählen. Wie oft wurde sie seit der Befreiung in der einen oder anderen Form dazu gezwungen? Auch andere Situationen fallen mir ein: Als ich bei unserer Ankunft Kumei fragte, warum nicht mehr Leute in dem großen Haus wohnten, hatte sie sehr ausweichend geantwortet, und dann der Abend, an dem meine Mutter in Shanghai zu Z. G. kam und er sagte, wir hätten zur Strafe im Hofhaus gewohnt. Selbst wenn mir etwas erzählt wurde, habe ich die Ohren versperrt.
Ich konzentriere mich wieder auf Kumeis Geschichte, als sie sagt: »Ich habe die Ehefrauen und Konkubinen bedient und ihre gebundenen Füße versorgt. Yong war die jüngste und hübscheste Ehefrau …«
»Ich war auch die gemeinste«, gesteht Yong. »Ich kam aus Shanghai und sprach den Shanghaier Dialekt. Das Hofhaus war schön, aber das Gründrachendorf war nicht Shanghai. Außerdem war unser Gebieter nie zufrieden. Er hatte viele Ehefrauen und Konkubinen. Er hatte eine Menge Kinder. Sogar Söhne. Aber er wollte dem Dorf seine Stärke beweisen. Er war der Vorsteher, verstehst du?«
Ich verstehe das nicht, doch Kumei erklärt es mir weiter. »Er hatte die Kontrolle über uns, aber als Vorsteher musste er seine Stärke auch dem ganzen Gründrachendorf beweisen. Wie hätte er das besser tun können, als mich in sein Bett zu holen und zu zeigen, dass er mir einen Sohn schenken konnte? Damals war ich elf. Nach der ersten Nacht bin ich zu meinem Onkel und meiner Tante im Schwarzbrückendorf gelaufen. Ich flehte sie an, bei ihnen leben zu dürfen, aber sie drehten sich einfach um, gingen wieder ins Haus und schlossen die Tür. Ich kehrte ins Gründrachendorf zurück, zu dem Haus, in dem ich geboren wurde. Ich setzte mich davor und weinte. Ich rieb mir Erde über Gesicht und Arme, in die Kleider und in den Mund. Dann stand ich auf und lief zurück zum Hofhaus.«
»Warum haben deine Eltern dir nicht geholfen?«, frage ich.
»Sie sind in dem Winter, in dem sie mich weggegeben haben, verhungert«, antwortet sie. Nach einer kurzen Pause erzählt sie weiter. »Ich verstand nicht, was im Hofhaus vor sich ging. Ich war ein Dienstmädchen, aber ich war auch eine Konkubine.«
»Du warst ein kleines Mädchen!«
Yong hat gesagt, der Grundherr sei ein guter Mensch gewesen, doch wie ist das möglich?
»Wir haben Kumei schlechter behandelt als die niedrigste Dienerin, denn in der Bettkammer war sie der Liebling des Gebieters«, gesteht Yong. Dann richtet sie ihre Worte direkt an Kumei. »Du hattest keine richtige Stellung im Haushalt, und du konntest nie den Luxus genießen, den die anderen Ehefrauen und Konkubinen hatten. Ich weiß noch, wie Dritte Frau dich immer mit der spitzen Nadel ihrer Brosche gepiekst hat. Sie hat darauf bestanden, dass die Küchenmädchen dir nur Melonenschalen und verwelkte Gemüseblätter zu essen geben.«
»Wenigstens habe ich überhaupt etwas zu essen bekommen …«
Ziehen sie sich
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