Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tochter des Glueck

Tochter des Glueck

Titel: Tochter des Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
Vom Netzwerk:
Schultertaschen ab und führt uns über den Platz zum Schatten des Baums. Die duftenden weißen Blüten erinnern an Wicken. Ich entdecke keinen einzigen Strom- oder Telefonmast. Es gibt keine Autos oder Motorroller, aber dennoch riecht die frische, gründuftende Luft ein klein wenig nach Benzin. Hühner picken am Boden, ganz wie ich es erwartet habe. Hohe, dünne Bäume säumen einen Bach zu meiner Rechten. Die Blätter bewegen sich in der leichten Brise. Auf der anderen Seite des Bachs führt ein Weg einen Hügel hinauf, auf dem vereinzelte kleine – winzige – Häuser stehen. Sie sind wahrscheinlich die echte Version von Wangs Bauernhaus. Links von mir ist eine hohe graue Mauer.
    Tao führt uns weiter auf einem Weg an der Mauer entlang zu einem kunstvollen Tor mit einem Spiegel über einem geschnitzten Fries. Durch das Tor treten wir in einen Hof. An der Wand – es ist eine Außenwand – hängen getrocknete Schweinsfüße und eine Schnur mit getrocknetem Fisch.
    Tao ruft: »Kumei, komm schnell! Sie sind da.«
    Eine junge Frau tritt durch eine Tür. Sie ist etwa so alt wie ich und trägt einen ungefähr vierjährigen Jungen auf der Hüfte. Die Haare hat sie rechts und links mit scharlachroter Wolle zu zwei Zöpfen gebunden. Ihre Wangen sind rot. Sie ist kleiner als ich, aber ihr Körper ist viel fester und stärker. Sie ist ein hübsches Mädchen, abgesehen von den erhabenen Narben, die ihr über den Hals und auf die linke Schulter und den Arm laufen.
    » Huanying! Huanying! Willkommen! Willkommen!«, ruft sie. »Ich bin Feng Kumei. Ihr wohnt hier bei mir. Habt ihr schon gegessen?«
    Ja, ich hätte gerne etwas zu essen, Tee, eine Dusche. Doch das geht nicht, denn Tao sagt: »Aber alle warten schon.«
    »Dann bring uns bitte gleich dorthin, wo wir arbeiten sollen«, antwortet Z. G.
    Wir lassen das Gepäck mit der Kleidung im Hof stehen. Kumei stellt den kleinen Jungen auf den Boden und sagt ihm, er soll nach drinnen gehen. Zu viert machen wir uns auf den Weg an der Mauer entlang zum Platz und in ein angrenzendes, ziegelgedecktes Gebäude, dessen Dachvorsprünge nach oben gebogen sind.
    »Das war früher der Ahnentempel für die Familie des Grundherrn und der übrigen Dorfbewohner, denn alle hier tragen den gemeinsamen Familiennamen Feng«, erklärt Tao. »Seit der Befreiung nutzen wir den Tempel für Versammlungen. Kommt, kommt.«
    Er winkt mir. Irgendetwas an der Art, wie er mich mit den Fingern lockt, bringt mich dazu, dicht hinter ihm zu bleiben. Das Dach wirkt von außen zwar sehr massiv, aber innen ähnelt der Tempel eher einem Lichthof, in den die letzten Sonnenstrahlen dringen. Gewaltige hölzerne Säulen, blutrot gestrichen, stützen die Teile des Dachs, die den Hof umgrenzen. Der Boden ist in der Mitte abgesenkt und mit Wasser gefüllt. Ein paar Karpfen schwimmen ziellos darin umher. Die Steine sind von grünem Moos überzogen. Der Teich vermittelt Frische, auch wenn die Luft kein bisschen kühler oder weniger feucht ist als sonst überall. Trotz des offenen Daches riecht es immer noch ein wenig nach Benzin, aber ich habe seit meiner Ankunft keine Autos, Motoren oder Maschinen gesehen.
    Am Rand der Halle sitzen Leute – junge, alte, Männer, Frauen und Kinder – auf dem Steinboden. Die Frauen sind beinahe identisch gekleidet, sie tragen weite blaue Hosen und kurzärmlige Blusen mit aufgedruckten Blümchen. Ein paar haben Tücher über die Haare gebunden. Die meisten haben Zöpfe. Auch die Männer tragen weite blaue Hosen, nur mit ärmellosen Unterhemden – wie sie mein Vater und meine Onkel trugen, wenn sie an heißen Sommerabenden um den Esstisch saßen. Meine Freundinnen in Chicago sagten aber immer, daran erkenne man die bösen Jungs, solche wie Marlon Brando in Endstation Sehnsucht.
    Ein wohlgenährter Mann tritt vor und streckt uns die Hand entgegen. Er ist schätzungsweise um die fünfunddreißig, unter den Augen hat er aufgedunsene Fetthalbmonde. »Ich bin Parteisekretär Feng Jin, der höchstrangige Kader im Dorf«, sagt er. Nachdem er uns die Hand geschüttelt hat, deutet er auf seine Gattin, eine pummelige Frau, die breitbeinig wie ein Mann auf einer Steinbank hockt. »Das ist Sung-ling, meine Frau. Sie ist der zweithöchste Kader. Wir sind zuständig für sämtliche Aktivitäten im Kollektiv.«
    Z. G. tippt zum Gruß an die Stirn. »Es ist meiner Tochter und mir eine Ehre, hier zu sein …«
    »Von einer Tochter hat niemand etwas gesagt«, unterbricht Parteisekretär Feng grob.
    »Sie hat

Weitere Kostenlose Bücher