Tod am Nil
sie selbst, denn die Herrschaften, die hier wohnten, würden sich niemals dazu herablassen, verfluchtes Fleisch zu essen. Die Dienerschaft würde zum Frühstück Ful, Oliven und weißen Käse verzehren und dann üppigere Mahlzeiten für ihre Herren bereiten - Datteln, Granatäpfel, Honigkuchen und im Palast selbst auch die seltenen Depeh- Früchte, die immer noch aus dem verlorenen Nordreich importiert wurden. Wie sie so durch den Morgennebel wandelten, sahen die Diener aus wie die Bewohner eines Traums.
Nebamun lief rasch südwärts die Gasse hinunter und wandte sich am unteren Ende nach Westen. In dem sich allmählich auflösenden Dunst hatte er sich nicht umgeschaut, bevor er losgegangen war; seine Bewegungen wirkten zuversichtlich. Er trug ein kleines, in Weinblätter gewickeltes Paket. Huy folgte ihm in einigem Abstand. Sein gebrochener Arm behinderte ihn, und er wußte, wenn Nebamun ihn sähe, würde er seine stämmige Gestalt sofort erkennen. Sie gingen jetzt wieder in nördlicher Richtung durch Straßen und Plätze des Palastbezirks, und es waren immer mehr Leute unterwegs, so daß es Huy leichter wurde, Nebamun unbemerkt zu folgen. Zugleich mußte er ihm aber auch dichter auf den Fersen bleiben, um ihn in der Menge nicht zu verlieren. Eine Kolonne Soldaten, die zum Palast marschierten, versperrte Huy für eine lange Minute den Weg über einen Platz, aber inzwischen war er sicher, daß Renis Sohn auf dem Weg zur Stadt war, und als er in diese Richtung weiterging, hatte er ihn bald wieder eingeholt.
Einen großen, mit tönernen Vorratskrügen beladenen Ochsenkarren als Tarnung benutzend, gelang es Huy, ungesehen den freien Platz zwischen Palast und Stadt zu überqueren. Nebamun ahnte nicht, daß er verfolgt wurde. Er nahm die Hauptstraße, die die Südliche Hauptstadt von Norden nach Süden durchschnitt, und bog dann nach rechts in eine Straße, die sanft ansteigend einen flachen Hügel hinaufführte. Hier war ein Wohnviertel, und es war noch still. Huy wußte, daß die Straßen gitterförmig angelegt waren, so daß es kein Problem war, immer um eine Straßenecke hinter seinem Wild zurückzubleiben. Ein Nachteil war, daß jede Straße gleich aussah. Die Straßenseiten der Häuser bestanden lediglich aus kahlen Mauern, unregelmäßig durchbrochen von Türen, die in Höfe führten; nur gelegentlich sah man ein kleines Oberfenster.
Huy war Nebamun etwa fünf Minuten auf den Fersen geblieben und hatte sich die Abbiegungen nach links und rechts eingeprägt, die sie genommen hatten, seit sie die Hügelstraße verlassen hatten - und plötzlich wußte er, wo er war. Er verlangsamte seinen Schritt, als er sich der nächsten Straßenecke näherte, und ging vorsichtig um sie herum.
Da stand das Haus wie auf einer Wandmalerei. Er war sicher, daß es das Haus war, obwohl er es beim letzten Mal kaum wahrgenommen hatte. Jetzt sah er, daß der ursprünglich weiße Anstrich hellbeige geworden war. Die glatte braune Holztür blätterte ab. Hoch oben in der Wand war ein kleines, mit einem Laden verschlossenes Fenster; davon abgesehen befand sich in der zwanzig Schritt hohen und breiten Mauer nur noch die Tür. Von seinem Platz aus konnte Huy nicht sehen, ob es an der Wand des Hauses gegenüber Türen oder Fenster gab.
Nebamun klopfte, und beinahe sofort öffnete sich die Tür und schloß sich wieder, als er eingetreten war. Huy behielt das kleine Fenster im Auge und überquerte die Straße. Die Mauer gegenüber war, wie erwartet, völlig kahl. Man konnte die Haustür also nicht beobachten. Aber es dürfte schwierig sein, diese Straße unbemerkt zu betreten, wenn man etwas anderes vorhatte, als das Haus zu besuchen, in dem Nebamun verschwunden war. Hier gab es keinen Laden, keinen Brunnen, nicht einmal einen schattigen Platz am Ende der Straße.
Der Frühnebel hatte sich inzwischen aufgelöst, und die aufgehende Sonne in ihrem Matet- Boot verströmte schattenloses weißes Licht. Huy hörte den Kies unter seinen Sandalen knirschen, als er zur Straßenecke zurückging und sich ein schattiges Fleckchen suchte. Er bedeckte seinen Kopf, hockte sich hin und überlegte, was er sagen sollte, wenn ein Vorübergehender fragte, was er hier suche.
Aber es ging niemand vorüber, und er brauchte auch nicht lange zu warten. Nach höchstens fünf Minuten kam Nebamun wieder heraus und ging den Weg zurück, den er gekommen war. Das in Weinblätter gewickelte Paket hatte er nicht mehr bei sich. Huy schaute ihm nach. Sein Blick war finster,
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