Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod am Nil

Tod am Nil

Titel: Tod am Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Gill
Vom Netzwerk:
Raum. Der junge Mann huschte beiseite, damit seine Retter Huy nun seinerseits an die Wand schmettern konnten, daß seine Zähne über den Putz schrammten. Jemand packte ihn bei den Haaren und riß seinen Kopf zurück. Dicht vor seinen Augen sah er eines der Bilder an der Wand, das er vorhin nicht bemerkt hatte. Jetzt sah er es mit erschreckender Klarheit. Zwei ältere Männer kauerten über einem nackten Mädchen, das mit dem Gesicht nach unten auf ein hölzernes Gestell geschnallt war. Sie waren dabei, mit scharfen Nadeln und Tusche etwas auf den Rücken des Mädchens zu tätowieren. Die Arbeit war fast vollendet, das Ergebnis deutlich sichtbar: Um die Spitze des linken Schulterblattes ringelte sich ein kleiner, grob gezeichneter Skorpion.
    »Nicht an die Wand«, hörte er den jungen Mann sagen. »Da ist schon genug Schaden angerichtet.« Da zerrten sie ihn herum und schlugen seinen Kopf auf einen Schemel, bis sein Gehirn zu brodeln begann. Dann quoll ihm Blut in die Augen, und alles war schwarz.

    Nephthys wurde am Vorabend ihrer Hochzeit tot aufgefunden. Es war ungewöhnlich, daß sie um diese Zeit allein war, aber sie hatte darum gebeten, eine Weile ungestört zu sein. Auch wenn die Zeremonie an sich ganz einfach war - sie bestand aus nichts anderem als den gegenseitigen Versprechen von Braut und Bräutigam und dem Aufsetzen eines Dokuments, in dem präzise festgelegt war, wer im Falle der Scheidung was bekäme -, würden doch beide Elternpaare darauf bestehen, ein großes Fest zu geben, bei dessen prunkvoller Ausstattung sie einander zu übertreffen versuchen und das Ganze zum Anlaß nehmen würden, nützliche Bekanntschaften für ihre Kinder zu arrangieren.
    Huy, der sich von den erlittenen Verletzungen erholte und seinen gebrochenen linken Unterarm verfluchte, den der Arzt im Haus des Heilens geschient und dann zu stramm verbunden hatte, erfuhr von dem Mord durch Nebamun, der ihn frühmorgens - um die elfte Stunde der Nacht - mit wütendem Hämmern an der Tür weckte. Der junge Mann hatte zwar rote Augen, aber er wirkte merkwürdig ruhig. Als Huy ihm einen Becher Bier reichte, zitterten seine Hände jedoch so heftig, daß er ihn nicht bis an die Lippen brachte. Nach einer Weile aber hatte er sich so weit gefaßt, daß er sprechen konnte.
    Anscheinend war das Mädchen auf die gleiche Weise ermordet worden wie ihre Schwester und die beiden ersten Opfer. Als man sie fand, lag sie nackt und mit gefalteten Händen auf dem Rücken. Es gab keine Male oder sonstigen Spuren eines Kampfes, und ihr Körper war makellos.
    »Ich habe jetzt zwei Schwestern verloren. Ich weiß, du arbeitest für Ipuky, aber du mußt mir erlauben, dir zu helfen. Ich habe ein Recht darauf. Ich suche Rache.«
    »Und dein Bruder?«
    »Der organisiert eine eigene Jagd. Er hat Freunde, die ihm helfen.«
    »Warum beteiligst du dich nicht dort?«
    »Weil ich glaube, daß du weißt, was du tust. Willst du mir nicht sagen, wieviel du weißt? Oder glaubst du, ich bin noch nicht erwachsen genug? Ich bin älter als der König, und der Schmerz hat mich zum Mann gemacht.«
    Huy dachte an die Eltern des Jungen. Wie mochte der alte Schreiber Reni reagieren? Wie sah jetzt seine philosophische Einstellung aus? Würde er weiter bereit sein, die Ermittlungen den Medjays zu überlassen? Zürnte er gegen die Götter, die ihn für ein solches Schicksal ausersehen hatten? Wem würde er die Schuld geben, und an wen würde er sich schütz- und trostsuchend wenden? Seine jüngste Tochter war fast bereit zur Bestattung; ihr Körper war ausgeweidet, getrocknet, gestopft, ausstaffiert für die lange Nacht, bandagiert mit feinstem Leinen, den Skarabäus über dem Herzen, und sie lag in einem Sarkophag aus bemaltem Zedernholz. Bald würde der Lektor-Priester ihren Mund öffnen, der Sem-Priester ihre Läuterung vornehmen, und Horus würde ihre fünf Sinne für die Felder von Aarru wiedererwecken. Sie würde in die Halle der Zwei Wahrheiten hinabsteigen und vor die Zweiundvierzig Richter treten. Und dann würde Nephthys, statt als frischgebackene Ehefrau vor Renennutet und Tawaret zu stehen, als Schatten zu Anubis und Osiris gehen.
    In jeder Hinsicht bestätigte dieser neue Todesfall, daß der ursprüngliche Mörder und seine Motive sich nicht geändert hatten. Der Tod des Mädchens Isis mochte eine Verirrung gewesen sein; vielleicht hatte er auch gar nichts mit den anderen zu tun. Kein Zweifel, Merymose war gestorben, weil er etwas herausgefunden hatte, was wichtig genug

Weitere Kostenlose Bücher