Tod am Zollhaus
die neuesten Experimente und Entdeckungen der wissenschaftlichen Welt verfolgte.
Ihm gegenüber saß Pierre Chenau und stopfte, beide Ellenbogen auf den Tisch gestützt, seine Meerschaumpfeife. Er war Kaufmann auf Jersey, wie der Gastgeber, aber von einer kostspieligen Leidenschaft für die Alchimie geplagt. Seine Hoffnung, dass davon niemand wisse, war vergeblich. Auf dem ganzen Archipel flüsterte man über seine sündige Suche nach dem Rezept fürs Goldmachen.
Neben Chenau saß ein eleganter junger Mann, dessen blonde Locken im Nacken zu einem modischen Zopf gebunden waren. William Gatherby, der einzige Neffe des Hausherrn, hatte sich seit einiger Zeit als scharfer Rechner und kühner Planer in dessen Kontor unentbehrlich gemacht. Der Handel mit dem Hause St. Roberts, dachte Claes, wird in Zukunft trotz aller Freundschaft härter werden.
William folgte den aufgeregten Debatten mit trägen Augen und sanftem Lächeln, auch wenn er sich selbst kaum daran beteiligte.
Der junge Marquis Jouffroy d’Abbans, der neben dem stets beherrschten William zappelig wie ein junger Spaniel auf der Stuhlkante saß, war ein entfernter Cousin der St. Roberts. Auch wenn England und Frankreich seit den Zeiten der Normannen ständig Kriege gegeneinander anzettelten, war eine solche Verwandtschaft hier nicht ungewöhnlich. Die Inseln gehörten seit Jahrhunderten zum Reich der britischen Krone, aber ihre Lage nur wenige Meilen vor der Küste der Normandie hatte sie doch eng mit Frankreich verbunden.
Mit leichter Wehmut betrachtete Claes das noch kindlich runde Gesicht Jouffroys. Er hatte die Heftigkeit und Leidenschaft eines Jungen, der das Unmögliche für leicht erreichbar hält, wenn man es nur wirklich will. Für einen Moment spürte Claes eine nagende Sehnsucht nach solcher Leidenschaft und fühlte sich sehr viel älter als seine 44 Jahre. War er jemals so glühend gewesen? Oder tatsächlich schon immer der vernünftige Mann, der kühle Rechner, der nur gerade Wege ging?
«Messieurs. Nun haben Sie uns wirklich lange genug warten lassen!»
Die klare Stimme von Anne St. Roberts unterbrach abrupt die Melancholie seiner Gedanken. Pauls Schwester, seit dem Tod ihrer Schwägerin die erste Dame des Hauses, stand in der weit geöffneten Tür zum Salon. Obwohl sie sich um ein damenhaft gelassenes Lächeln bemühte, verriet ihre Miene Ungeduld.
Claes betrachtete sie amüsiert. Er konnte sich gut vorstellen, dass Anne das Geplauder der Damen über neue Liebschaften, Kleiderschnitte, Romane und die letzten Kinderkrankheiten schon nach kurzer Zeit tödlich langweilte. Anne St. Roberts interessierte sich mehr für Probleme der Schifffahrt und des Handels. Oder für Neuigkeiten wie die Blitzableiter, die Wissenschaftler in den nordamerikanischen Kolonien erfunden hatten. In Europa gab es inzwischen auch schon einen: Er krönte die Spitze eines Leuchtturms, der auf einem Felsbrocken im Meer südlich von Plymouth stand. Auf einem englischen Felsbrocken. Darauf war man auch auf Jersey stolz, selbst wenn über den Nutzen dieser Erfindung noch keine Einigkeit herrschte. Viele warteten darauf, dass Gott die Menschen für diesen Eingriff in seine Pläne strafen werde.
Anne war fasziniert von allem, was mit dieser neuen Elektrizität zu tun hatte. Am vorigen Abend hatte sie versucht, ihren Bruder davon zu überzeugen, dass ein solcher Blitzableiter auf dem Dach des neuen Lagerhauses am Hafen von großem Vorteil sein könnte. Paul hatte schließlich versprochen, zumindest darüber nachzudenken.
Claes hatte schnell gemerkt, dass Anne von den Geschäften der St. Roberts mehr verstand als ihr Bruder und als die heimliche Herrin des Kontors galt. Sie war eine schlanke, hochgewachsene Frau, ihr Teint war nicht so blass, ihre Stimme nicht so zart, wie es sich für eine Dame gehörte. Ihre Nase war ein wenig spitz, ihr Mund ganz sicher zu groß. Aber sie war ohne Zweifel auf ihre besondere Art schön.
Claes hätte gerne gewusst, warum sie nie geheiratet hatte. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Sie erschien ihm sehr viel jünger als ihr Bruder, aber die Dreißig hatte sie sicher längst überschritten. Eine energische Dame, die sich allerdings, auch das hatte Claes festgestellt, beim Tanz mit vollendeter Grazie und Geschmeidigkeit bewegte.
In der Mitte des Salons thronte rund und rosig unter ihrer reich mit Spitzen besetzten Haube auf einer gepolsterten Bank Mathilda Maynor. Die Frau des Arztes und Mutter seiner sechs Kinder verfolgte mit
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