Tod auf der Piste
weiß es womöglich schon lange und lebt mit diesem Wissen. Wartet auf seinen Tag. Arbeitet solange manisch an seinem Holz. Der Künstler, der in seinem Schaffen versinkt. So sehen ihn auch die anderen. Immer ein bisschen abwesend, dabei war er keineswegs abwesend. Er war angespannt bis aufs Letzte.«
»Und nun?«, fragte Kathi.
»Du informierst die Staatsanwaltschaft, ich würde die drei sauberen Freunde gerne dabehalten. Wir brauchen einen Haftbefehl für Eitzenberger. Ich muss mal schnell wohin, und dann fahren wir zu ihm.«
Fahren wir zu Eitzenberger, das klang wie ein netter kleiner Ausflug. Irmi ging langsam in den Waschraum. Dort blickte sie in den Spiegel. Sie sah aus wie immer. Schulterlange Locken, die schwer zu bändigen waren. Graue Strähnen. Eine gesunde Gesichtsfarbe, die tiefe Stirnfalte und die Fältchen um Augen und Mund. Gar nicht so viele, das mochte der Vorteil sein, wenn man nicht so ein Hungerhaken war. Sie sah aus wie immer. Dabei fühlte sie sich, als hätte sich etwas in ihrem Gesicht abzeichnen müssen. Das hier war der reinste Irrsinn.
Kathi wartete im Gang. »Sollten wir nicht Verstärkung anfordern?«, fragte sie.
»Können wir immer noch.«
Wortlos gingen sie zu Irmis Auto. Wortlos erreichten sie das Sägewerk. Der Pick-up stand vor dem Büro.
Das junge Mädchen war wieder da. Sie schien Irmi zu erkennen. »Suchen Sie Roswitha oder Florian?«, fragte sie.
»Florian«, erwiderte Irmi.
»Der ist irgendwo auf dem Gelände.« Sie machte eine vage Handbewegung.
Irmi nickte ihr zu, dann gingen sie an Bretterstapeln vorbei, an einer Halle mit Hackschnitzeln.
Irmi sah Florian schon von Weitem. Er stand auf einer Leiter und arbeitete mit einer Stihl an einem gewaltigen Holzklotz, der vielleicht mal eine Skulptur werden sollte. Die Frauen kamen näher. Irmi, die ihre Motorsäge so liebte, bewunderte seine Fähigkeiten. Das hätte sie auch gerne gekonnt.
Eitzenberger sah sie kommen. Er stellte die Stihl ab und stieg die Leiter langsam herunter. Irmi sah aus dem Augenwinkel, dass auch Kathi verblüfft war. Florian musste ein Typ nach ihrem Geschmack sein.
»Sie schon wieder«, sagte er nur zu Irmi und nickte Kathi zu. Die Bernsteinsplitter sprühten Lichtblitze.
»Herr Eitzenberger, ich muss Sie noch mal fragen: Wo waren Sie am Sonntagvormittag vor einer Woche?«, fragte Irmi.
»Im Büro, das hab ich Ihnen schon gesagt. Sind sie schwerhörig?«
»Nein, aber Ihr Pick-up ist vom Hof gefahren, dafür habe ich eine Zeugin«, sagte Irmi.
»Dann war ich halt schnell Semmeln holen.« Er klang gelangweilt, aber seine Augen verrieten ihn. Es lag höchste Anspannung in seinem Blick.
Gut, das konnte stimmen, in Garmisch gab es sicher Sonntagsbäcker. Irmi sah ihn scharf an. »War das, bevor Sie die Waffen an der Aule-Alm abgelegt haben oder danach?«
Es vergingen ein paar Sekunden, dann stieß er plötzlich die Leiter um – und rannte.
»Scheiße!«, rief Kathi und lief zusammen mit Irmi hinter ihm her. Doch er hatte sein Auto schon erreicht und schoss quietschend vom Hof.
Irmi und Kathi hechteten in ihres. Irmi schlingerte um die Kurve, den Pick-up im Blick. Kathi schaffte es, das Blaulicht aufs Dach zu setzen. Dann brüllte sie die Autonummer und den Fahrzeugtyp in ihr Handy und forderte Verstärkung an.
»Dieser Vollidiot!«, rief sie.
Eitzenberger schoss kreuz und quer durch Partenkirchen, bis er auf den gesperrten Weg entlang der Bahn einbog, Irmi folgte ihm. Eine Gruppe nordisch walkender Damen war wohl so ins Gespräch vertieft, dass sie die heranbrausenden Fahrzeuge zu spät registrierten. Der Pick-up rumpelte über den Wiesenrain, durchs Feld und schoss wie ein Katapult wieder auf den Weg. Das mochte ein Pick-up vertragen, Irmis Cabrio nicht. Sie hupte wie wild, die Damen sprangen zur Seite.
Der Pick-up geriet für kurze Zeit aus Irmis Blickfeld, auf der Ausfallstraße Richtung Grainau tauchte er wieder auf.
»Scheiße!«, rief Kathi noch mal. »Der fährt nach Tirol!« Sie tippte wie wild in ihr Handy. Schließlich hatte sie die Polizei in Reutte dran. »Bewegt’s eich, Burschen«, schloss sie ihre Rede.
Der Pick-up raste an Grainau vorbei und weiter Richtung Ehrwald. Irmi wünschte, dass die Bahnschranke zu sein möge, dort wo die Außerfernbahn die Straße kreuzte. War sie aber nicht. Auf der langen Geraden fuhr der Pick-up hundertfünfzig, der reinste Wahnsinn.
Irmi versuchte, so gut es ging, mitzuhalten. Sie verlor Boden. Griesen kam in Sicht, sie sahen den Wagen nur
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