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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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herzudrehen. Und wulstete ihren Mund. Das sah so frech aus, daß ich endlich fragen konnte, ob sie tatsächlich mit Picasso geschlafen habe.
    Als sie das zum ersten Mal gefragt worden sei, sagte sie, habe sie prompt geantwortet: Und zwar im Stehen.
    Als wir uns am Flughafen von einander verabschiedeten, sagte ich: Julia, der verklärende Blick, wer den nicht hat auf den anderen, der läuft weg. Von den Bedingungen der Liebe ist er die wichtigste, der verklärende Blick. Und woher hat man den? Vom Anfang. Vom ersten Augenblick. Davon lebt dann alles. Ich laufe nicht weg von dir. Nie. Sie sagte, sie sage nicht: Olvidarme.
    Sie wurde mit dem Auto abgeholt. Ich fuhr mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof, deponierte mein Gepäck und fuhr mit der U-Bahn nach Gern hinaus. In der Böcklinstraße wurde Bartók geübt. Schon mehr gespielt als geübt. Hilde Findeisen, bei der Erna gelernt hatte, wäre stolz gewesen, wenn sie gehört hätte, wie Erna das Bartók-Rubato auslegte. Sie spielte die zweite Elegie wie in Zeitlupe, aber in sich stimmig. Sie spielte, als falle ihr, was sie spielte, im Augenblick ein. Wenn sie mich nicht geheiratet hätte, hat sie einmal gesagt, wäre sie beim Klavier geblieben. Also bei der einzigen Sprache, in der es kein Mißverständnis gibt. Ich rannte davon. Ich würde Erna anrufen. Ihr von meiner Haltlosigkeit erzählen. Das wurde allmählich zu einer Nummer: meine Haltlosigkeit. Bitte, rechnet mit meiner Haltlosigkeit!
    Zurück zum Hauptbahnhof und mit dem Taxi zur Großhesseloher Brücke. Hinunter an die Stelle, an der Mani Mani seinen Tod gefunden hatte. Und dachte ein Requiem: Der Dichter ist tot. Es lebe die Literatur. Das unselige Gemenge. Die sarkastische Sause. Der gnostische Garaus. Die polyglotte Party. Der globale Gusto. Der fröhliche Flächenbrand. Mani Mani, ich werde in Deinem Raum auf der Insel jedes Jahr am 17. Mai eine Messe feiern. Julia will Deinen Raum ausstatten. Auf drei der grünen Wände, die Bilder von Bernt Streiff, Rolf Hochhuth und Else Lasker-Schüler. Aber als Projektionen. Der Boden wird ein einziges Bild von Dir sein. Daß man, wo man geht und steht, Dir im Gesicht geht und steht. Es werden aber in Deinem Raum weder Schuhe noch Strümpfe erlaubt sein. In der Mitte des Raums, eine schlanke Säule, die Dir aus der Nasenwurzel ragt. Sie wird einen Würfel tragen, dessen Seiten mit Bildern belegt sind. Das sind Bilder von zwei Frauen. Geneviève Winter und Hannelore. Eine Abbildung des Bayern München-Logos und ein Bild von Franz Beckenbauer. Über dem Würfel wird von der Decke an einer schwarzen Kette eine goldene Sichel hängen. Und aus allen Wänden, leise aber immerzu, Waterloo . Bis bald, Mani Mani. Dir bis zum Unverständnis nah: Dein Hans Lach.
    Dann zu Fuß in die Schlotthauerstraße. Zu meinem Alibi. Je näher ich der Schlotthauerstraße kam, desto schneller ging ich. Ich hatte nicht angerufen. Eine Mutter mit einem Geradegeborenen mußte daheim sein. Ich mußte mir, bevor ich dort läutete, beigebracht haben, daß meine Empfindungen für sie Empfindungen waren, die man für keinen Menschen dieser Welt empfinden durfte. Soviel kann kein Mensch dir sein. Du hast sie ausgestattet, wie du noch nie einen Menschen ausgestattet hast. Du hast dich in eine Abhängigkeit hineingesteigert wie noch nie. Du kannst ohne sie leben. Das weißt du. Ja, rief ich in den Straßenlärm, ich weiß es, aber ich glaube es nicht.
    Die Ernüchterungsarien, die Abgewöhnungsgesänge –, das war längst Routine. Aber jedes Mal wartete ich geradezu auf die dann fällige Rückkehr des normalen Schmerzes, der gewöhnlichen Sehnsucht. Nach ihr. Tausendmal ist das abgelaufen. Ich weiß inzwischen: Wovon ich wegdenken will, da denke ich hin.
    Daß ich nicht hingehen sollte, wußte ich. Daß ich hingehen würde, wußte ich auch.
    Nicht der Verführung dieser den Schritt angenehm nach oben führenden Stufen zu verfallen, das wäre der Keim zur Hoffnung auf eine Illusion der Unabhängigkeit. Dann stand ich im vierten Stock vor der altdunkelschönen Tür und konnte endlich läuten. Aber auf der Tür jetzt, und nichts als neu, ein Porzellanrechteck, dessen Seiten grüne Girlanden zierten, und im geräumigen weißen Feld in gefühlvoller Schrift:
                                        Olga und Jan Konnetzny. Und ich war weg. Jetzt nur nicht stolpern. Nur nicht, was zu empfinden du dich jetzt weigerst, in Hast ausarten lassen. Aber rennen schon. Davonrennen. Warum nicht.

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