Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
bitte, nicht: Die E-O-Kultur hat sich nicht nur auf dem Niveau der Großen Vier entfaltet. Daß München die Großen Vier hatte, mußte Berlin provozieren. Wir kennen alle das Ergebnis: Dr. Moritz Nödler’s Lit Peep . Es gab, als das Geschlechtliche noch vegetierte, eine Kümmerform, die man Pornographie nannte. Daran erinnert Dr. Moritz Nödler’s Lit Peep . Nicht vergessen darf der Historiker das vehemente Aufleben des Religiösen. Vielleicht ist das sogar die wichtigste Wirkung der E- O-Kultur überhaupt. Alle Religionen sind seitdem förmlich aufgeblüht. Und wieder waren es die Großen Vier, die ohne das zu wollen, Epoche machten. Die Großen Vier hatten ja als erste die Nacktanzüge öffentlich getragen, die später zum Symbol der E-O-Kultur überhaupt geworden sind. Der Aal ließ, während er litt oder jubilierte, sein Geschlechtsteil zoomen.Und was dann zu sehen war, war Wirkung von Literatur. So oder so. Klitornostras Feuerraupe war, wenn Klitornstra durch die Vorlesenden so oder so agitiert wurde, in Großaufnahme auf dem Schirm. Sie und der Aal waren, weil sie sich für das Nacktmenschentum entschieden hatten, vollkommen haarlos. Das steigerte die Wirkung. Die Nacktmenschenbewegung hat durch Aal und Klitornostra einen gewaltigen Zulauf erfahren. In den Schriften des Nacktmenschentums wurde behauptet, die E-O-Kultur komme erst im Nacktmenschentum zu sich selbst. Das riß die Zehntausend im Eventpalast und die Millionen an den Fernsehschirmen gleichermaßen hin. Und das waren die Millionen, die von dieser Vierundzwanzigbuchstabenkunst – so wurde sie von ihren Verächtern genannt – sonst nie auch nur Kenntnis genommen hätten. Wir an den Bildschirmen erlebten die Begeisterung, die Rührung, die Erschütterung der Zehntausend im Eventpalast, und diese Wirkung multiplizierte natürlich die Wirkung, die die Aktionen und Passionen der Großen Vier auf uns hatten. Wir wurden Zeugen außerordentlicher
    Grausamkeiten, die andere erlitten, aber zurecht erlitten. Es geschah ihnen recht. Das vermittelten uns die Großen Vier. Und das tat uns gut. Wir erlebten Gerechtigkeit. Ob gerühmt oder verdammt, es geschah Gerechtigkeit. Und nichts rührt uns tiefer als das: Gerechtigkeit. Wie immer, kann man auch jetzt die Stufe der Evolution, der man selber angehört, nicht werten. Nicht einmal beurteilen kann man sie. Ein Teilchen ist man eines Vorgangs, gerade daß man noch staunen kann. Als Historiker der E- O-Kultur, also als Historiker der Zukunft, darf man aber den Großen Vier, dem Aal, dem Affen, der Auster und der Klitornostra oder Feuerraupe ein bleibendes Bleiben voraussagen.
    Und Julia: Sie können es nicht lassen.
Ich: Jetzt schon.
Julia: Komm!
Ich ließ mich neben sie fallen, schälte sie aus ihrem weißen Leinen-Seidenanzug, schenkte uns Wein ein, trank ihr zu, sie mir, ich sagte: Am liebsten täusche ich mich mit dir.
Und sie: Von allen meinen Täuschungen halte ich dich für die geringste.
Ich: Du übertreibst.
Sie: Und wie.
Weil ich nichts sagte, sagte sie: Und wie gern.
Komm, mi caballo semental.
Macho cabrío reicht, bella yegua saturnal.

    3

    Diese meinen, die Wirklichkeit sei hässlich: aber daran denken sie nicht, dass die Erkenntnis auch der hässlichsten Wirklichkeit schön ist …
    Friedrich Nietzsche

    Die Insel half. Je länger ich auf der Insel war, desto mehr Mut hatte ich, starke Farben zu tragen. Zuerst wunderte ich mich über die rote Badehose des Achtzigjährigen. Dann trug ich selber eine. Meine Zehen glühten im Sand, es dehnte sich das Meer, der Wind streichelte nur noch mich, ich war endlich untergegangen.
    Dann stießen wir uns ab von der Insel, hinaus übers Meer und zogen uns langsam am brandungsgesäumten Küstenbogen Afrikas bis zum blauen Band des Mittelmeers. Nach tausend Kilometern eine Linkskurve wie auf der Straße. Über Spanien hin. Rosenholzfarben lag es unter uns. Bis zu den weiß gepuderten Pyrenäen. Nach einer Rechtskurve blieb unten alles unter weißer Watte, wir droben im Blau.
    Julia hatte darauf bestanden, daß ich, da sie die Strecke auswendig kenne, am Fenster sitze. Mindestens den ganzen September seien Ludwig und sie jedes Jahr auf der Insel gewesen. Ich hatte darum gebeten, nicht begründen zu müssen, warum ich nicht länger auf der Insel bleiben konnte. Meine Haltlosigkeit. Da es Ende September war, hätte Julia ohnehin zurückfliegen müssen.
    Ich werde ewig per Du sein mit dir, sagte ich auf dem Rückflug zu ihr. Sie sah herüber, ohne den Kopf ganz

Weitere Kostenlose Bücher