Tod im Apotherkerhaus
Er machte eine Geste, von der er hoffte, dass sie ebenso elegant wie einladend wirkte, und sagte: »Wenn die Herren vorangehen möchten ...« »Danke. Wir sind Euch sehr verbunden«, sagte Areskin. Ohne ein weiteres Wort traten er und seine Begleitung ins Haus, wobei der Riese den Kopf tief einziehen musste. »Immer gerade durch«, rief Gottwald, »dann kommt Ihr automatisch in den letzten Raum. Das ist er!« Im Kabinett angelangt, sahen sich die beiden Besucher um und blieben vor dem Vitrinentisch stehen. Der Hausherr beeilte sich, ihnen Plätze anzubieten.
Areskin winkte ab. »Wir stehen lieber, beginnt nur unverzüglich mit Euren Ausführungen.«
»Gewiss, gewiss ...« Gottwald glaubte ein Glitzern in den Augen des Goliath erkannt zu haben, und eine stille Befriedigung bemächtigte sich seiner. Vor seinen Steinen reagierten noch immer alle gleich. Egal, ob sie niedrigen Standes oder hochwohlgeboren waren. So mancher hatte die Kostbarkeiten erwerben wollen, aber niemand hatte sie sich leisten können. Nach wie vor gehörten sie ihm, Christof Gottwald, und für den Fall, dass sich das ändern sollte, musste ihm ein erkleckliches Sümmchen geboten werden. Nun ja, jedenfalls so viel, wie er brauchte. »... ganz wie Ihr wünscht.« Auf das, was er nun vortragen wollte, hatte er sich penibel vorbereitet: »Zunächst gestattet mir den Hinweis, dass der vor Euch stehende Tisch nur eine kleine Auswahl meiner Sammlung präsentiert. Ich habe ihn aufbauen lassen, damit er dem Auge des Betrachters einen Überblick vermittelt, in welch unendlicher Vielfalt der Stoff, den wir den >magischen Sonnen-stein< oder Bernstein nennen, vorkommt.« Die Herren wechselten einen Blick. Ihr Interesse an den ausgestellten Exponaten schien sich zu steigern. Gottwald sah es mit Freude und fuhr rasch fort: »Meine eigentliche Sammlung umfasst mehr als achttausend Einzelstücke, die alle hier im Raum gelagert werden, doch dazu komme ich später. Wie Ihr seht, ist Bernstein von höchst unterschiedlicher Farbigkeit, von hellgelb über gelbgold, gold, goldbraun bis hin zu einem tiefen Braunschwarz.« Sein Zeigefinger wies auf entsprechende Stücke. »Darunter gibt es völlig undurchsichtige Exemplare und dann wiederum absolut transparente. Man mag es kaum glauben, dass am Anfang dieser Fülle stets nur ein paar Tropfen austretendes Baumharz standen. Und doch ist es so. Bernstein begegnet uns, wie Ihr sicher wisst, als maritimer Stein am Meeresboden und an den Ufern der Ostsee, ferner als Erdbernstein an Land. Die größten Vorkommen verzeichnen wir in Samland; die Hochburgen seiner Bearbeitung befinden sich in Königsberg und hier in Danzig.«
Gottwald nahm zwei besonders schön geschliffene Stücke und gab sie seinen Besuchern in die Hand, damit diese sie näher in Augenschein nehmen konnten. »Überhaupt muss festgestellt werden, dass es kaum ein schöneres Material für den Künstler und seine Entfaltung gibt. Denkt nur daran, wie herrlich Bernstein sich für ornamentierte Wandverkleidungen ganzer Zimmer eignet und ...«
»Schon recht, schon recht«, unterbrach Areskin den Redefluss des Hausherrn und legte seinen Stein zurück. »Das ist meinem Begleiter sehr wohl bekannt. Bedenkt, dass seine Zeit begrenztist.«
Gottwald schlug die Augen nieder und dachte flüchtig: Das habt Ihr, Robert Areskin, mir im Vorhinein bereits mehr als deutlich gemacht. Ihr teiltet mir mit, dass unser heutiges Treffen zu ungewöhnlich früher Stunde stattfinden müsse, da der Tagesablauf Eures Herrschers es so verlange: Schon um zehn Uhr würde er eine Mittagsspeise zu sich nehmen und im Anschluss daran, gegen zwölf Uhr, schlafen. Am Nachmittag pflege er Hof zu halten und Befehle zu erteilen, um sich dann gegen sieben Uhr am Abend zur Nachtruhe zu begeben, welche am nächsten Morgen bereits um dreieinhalb Uhr beendet sei. Diesen Rhythmus wolle er stets und unter allen Umständen einhalten, selbst dann, wenn er sich auf Reisen befände. »Wie könnte ich das vergessen«, sagte Gottwald laut und musterte verstohlen den mächtigen Mann, in dessen Hand sich das Ansichtsexemplar verlor. Seine dunklen, stechenden Augen lagen unverwandt auf dem Stück und schienen es zu durchleuchten. Sie waren das beherrschende Element in einem Gesicht mit kräftiger Nase und kohlschwarzem Bart, einem Gesicht, das im Verhältnis zu dem riesigen Körper klein wirkte.
Eilig trat der Hausherr an den ersten Schrank und zog mehrere Schubladen auf. Anschließend entzündete er eine
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