Tod im Dom
stieg sofort aus.
Ehe mein Leben noch komplizierter wurde.
»Wenn du Angst hast, kannst du ruhig aussteigen«, sagte Anja. »Aber das wird dir nichts nützen. Eines Tages wirst du erkennen, daß du mich so liebst, wie ich dich jetzt schon liebe, und zu mir zurückkommen. Weil die Vorsehung es so will.«
»Ach ja?« sagte ich aggressiv, und ehe ich begriff, was ich tat, fügte ich hinzu: »Und was ist, wenn ich ein Mörder bin? Was ist dann?«
»Erstens würde das an meiner Liebe zu dir nichts ändern, und zweitens bist du kein Mörder. Vielleicht ein Schlawiner, aber kein Mörder.«
Sie hatte recht, und das sprach eindeutig für sie. Aber bedeutete das auch, daß ich ihr trauen konnte? Wie würde sie reagieren, wenn sie die Wahrheit erfuhr? Und vor allem: Wie würde sie reagieren, wenn sie erfuhr, daß in punkto Liebe nichts laufen würde, ob die Vorsehung es nun wollte oder nicht?
Andererseits brauchte ich Hilfe.
Dringend.
Ich weiß nicht, was mich dazu trieb – Leichtsinn, Verzweiflung, Gottvertrauen oder auch nur der Wunsch, dieses liebestrunkene Lächeln von ihrem Gesicht zu wischen –, aber ich erzählte es ihr. Alles. Die ganze furchtbare Geschichte, angefangen von dem Gipsarm und dem tückischen Bonsai-Pudel über die Leiche im Dom und meinen Fingerabdrücken auf dem Messer bis hin zu meinem spontan entwickelten Plan, den wahren Mörder zu suchen, weil ich nur so meine Unschuld beweisen konnte – wenn überhaupt.
»Nun?« fragte ich. »Nun? Was sagst du jetzt?«
»So wie ich das sehe«, sagte sie ruhig und nicht im mindesten schockiert, »kannst du verdammt froh sein, daß du mich endlich getroffen hast. Dein Leben ist ja ein schreckliches Durcheinander, aber das bringen wir schon in Ordnung. Zuerst suchen wir den Mörder, und dann machen wir einen anständigen Menschen aus dir. Und sobald du dich in mich verliebt hast…«
»Vergiß es«, unterbrach ich. »Liebe ist nicht drin, und ein anständiger Mensch werde ich schon gar nicht. Ich stehle gern. Außerdem hasse ich geregelte Arbeit. Kapiert?«
»Wie du meinst, Harry.«
»Ich bin ein freier Mensch. Mir gefällt mein Leben so, wie es ist, selbst wenn es so ist, wie es jetzt ist. Da wird nichts geändert. Ist das klar?«
»Natürlich, Harry.«
»Die Sache könnte gefährlich werden. Einer von uns beiden könnte dabei draufgehen – vielleicht sogar du!«
»Das macht nichts, Harry. Ich helfe dir trotzdem. Hauptsache, dir passiert nichts.«
»Und wenn wir den Mörder gefunden haben, geht jeder wieder seine eigenen Wege. Keiner stellt irgendwelche Ansprüche an den anderen. Keine Verpflichtungen. Okay?«
»Sicher, Harry.«
Ich gab es auf. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Sie wußte, worauf sie sich einließ. Ich konnte nur hoffen, daß ich es auch wußte.
4
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Selbst heute ist es mir noch völlig rätselhaft, warum ich mich nach Anjas Liebeserklärung nicht sofort aus dem Staub gemacht habe. Wer Ich liebe dich sagt und in Wirklichkeit Das ist ein Überfall meint, der ist noch zu ganz anderen Dingen fähig. Ihr mörderischer Fahrstil hätte mich warnen müssen, daß sie nicht die harmlose, leicht schusselige Ossi war, für die ich sie hielt, aber ich blieb trotzdem im Trabbi sitzen.
Vielleicht lag es am Schock; schließlich gerät man nicht jeden Tag unter Mordverdacht. Oder an ihrem Gesicht, das so unschuldig und rein wirkte, als hätte sie beim Papst persönlich den Heiligenschein gemacht; Unschuld war das, was mir am meisten fehlte.
Außerdem hatte ich keine andere Wahl. Der Schließfachschlüssel, den ich dem Mörder aus der Tasche gefischt hatte, war meine einzige Hoffnung, einigermaßen unbeschadet aus diesem ganzen Schlamassel herauszukommen, und selbst mit Anjas Hilfe war das kaum zu schaffen – ohne sie schon gar nicht. Wenn sie mich wirklich liebte, war das eine großartige Erfahrung für sie, und warum sollte ich die ihr nicht gönnen? Früher oder später würde sie einsehen müssen, daß ich nicht ihr vom Schicksal gesandter Märchenprinz, sondern nur ein teuflisch gutaussehender Kleinkrimineller war, der nur eine Liebe kannte – und die hieß Ibiza.
Aber Ibiza mußte warten.
Ich ließ Anja in sicherer Entfernung von meiner Wohnung halten und sprang kurz hinauf, um mir ein paar Sachen zu holen und die selbstgelegte Stromleitung zu meinem schwulen Nachbarn zu kappen. Wenn herauskam, daß er einen steckbrieflich gesuchten Mörder mit Strom versorgte und daß er sich diese Großherzigkeit nur leisten konnte,
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