Tod im Dom
weil er regelmäßig fremde Kreditkarten mißbrauchte, war er geliefert.
Ich wollte ihn nicht verärgern; vielleicht konnte ich seinen Strom noch einmal gebrauchen.
Ich rollte das Kabel ein und legte es ihm vor die Tür, raffte anschließend einen Armvoll Klamotten zusammen und stopfte alles in eine Reisetasche. Ich beeilte mich; es würde zwar einige Zeit dauern, bis die Spurensicherung meine Fingerabdrücke identifiziert hatte und die Kripo vor der Tür stand, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Außerdem brauchte ich nach dem höllischen Streß der letzten Stunden dringend etwas Ruhe, und die konnte ich in meiner Wohnung garantiert nicht finden.
Ich hatte schon zu viele Fehler gemacht; ich mußte gründlich nachdenken und einen perfekten Plan austüfteln, oder ich landete schneller im Knast als ich Bingo! sagen konnte.
Als ich fertig war, kam mir spontan eine Idee, von der ich nur hoffen konnte, daß sie so genial war, wie ich dachte. Andererseits konnte sie auch nicht schaden – ich griff nach Kugelschreiber und Papier und kritzelte hastig eine Nachricht:
An die Polizei!
Egal was Sie denken – ich habe es nicht getan! Meine Fingerabdrücke sind nur durch einen haarsträubenden Zufall auf die Tatwaffe geraten! Ich bin unschuldig! Während Sie Ihre Zeit mit der Fahndung nach mir vergeuden, läuft der wahre Mörder unerkannt herum und sticht vielleicht den nächsten ab! Das ist nicht gut! Um nicht auch noch das Opfer eines tragischen Justizirrtums zu werden, nehme ich die Suche nach dem Täter selbst in die Hand. Drücken Sie mir die Daumen!
Harry Hendriks
PS Ich melde mich wieder.
Ich las den Brief noch einmal durch, fand ihn alles in allem plausibel und befestigte ihn mangels einer Reißzwecke mit dem Brotmesser an der Tür, wo ihn niemand übersehen konnte. Erst als ich wieder unten im Trabbi saß, überfielen mich leise Zweifel, ob es wirklich klug gewesen war, ein Messer den Postillion spielen zu lassen, doch jetzt war es zu spät, um noch etwas daran zu ändern.
»Alles klar?« fragte Anja und ließ ungeduldig den frisierten Zweizylinder-Zweitaktmotor aufheulen.
»Ich hab’ der Kripo eine Nachricht hinterlassen«, antwortete ich. »Hoffentlich ist sie klar genug.«
»Tolle Idee«, stimmte sie sofort zu. »Besser kannst du deine Unschuld gar nicht beweisen. Ich meine, welcher Mörder schreibt der Polizei schon Briefe? Das muß denen doch zu denken geben!«
Ich verzichtete darauf, ihr von dem Messer zu erzählen, an dem der Brief hing. Warum sie mit Dingen quälen, die sich doch nicht mehr ändern ließen?
»Und jetzt?« fragte Anja. »Wohin jetzt?«
»Zu dir«, sagte ich, »wo immer das auch sein mag.«
Eine Zehntelsekunde später brausten wir über die Volksgartenstraße Richtung Zollstock.
Anja wohnte in einem riesigen, labyrinthisch verschachtelten Apartmentkomplex an der Bernhard-Feilchenfeld-Straße, in einer dieser anonymen Wohnmaschinen, wo man sterben konnte, ohne daß die Nachbarn es merkten – bis man anfing zu stinken und irgend jemand den Hausmeister alarmierte. Die Wohnung gehörte ihrer Kusine, die für ein paar Wochen nach Leipzig gefahren war und Abenteuerurlaub im wilden Osten machte, und wir würden völlig ungestört sein, wie Anja mir mit treuherzigem Augenaufschlag versicherte.
»Es ist eine hübsche Wohnung«, erklärte sie. »Ideal, um sich menschlich näherzukommen.«
Als sie die Tür öffnete, wurde mir klar, wie ihre Bemerkung gemeint war – es war eins von diesen winzigen Einzimmerapartments mit mikromäßiger Kochnische, sarggroßer Duschkabine und einem Balkon, der in jedem anderen Haus gerade noch als Fensterbank durchgegangen wäre. Man mußte schon autistisch sein, um sich unter diesen Umständen menschlich nicht näherzukommen. Vor allem die lachsrosa Schlafcouch bereitete mir Kopfzerbrechen – sie war so schmal, daß wir beide auf ihr nur dann Platz hatten, wenn wir aufeinanderlagen, und genau das wollte ich vermeiden.
Anja bemerkte meinen kritischen Blick.
»Wenn wir zusammenrücken, wird’s schon gehen«, sagte sie optimistisch und warf ihre Öljacke über die Stuhllehne. »Willst du was trinken? Vielleicht einen Weinbrand? Du siehst aus, als könntest du einen gebrauchen. Ich hab’ ihn aus Leipzig mitgebracht.«
»Egal, wo er herkommt, mit nur einem komme ich nicht aus. Stell die Flasche auf den Tisch und setz dich zu mir. Wir müssen miteinander reden.«
Ich schlüpfte aus meinem Trenchcoat, quetschte mich am Tisch vorbei und
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