Tod im Dünengras
sie die Kräuterbutter in eine Form drückte, deren Umrisse der
Kuppel des Petersdoms entsprachen. »Und er hat recht. Das Ave Maria ist zu
schwer, zu pompös und auch zu anspruchsvoll. Man soll sich nicht zu viel
zumuten.«
Erik sah seinen Assistenten fragend an, noch immer verstand er kein
Wort. Aber Sören hob nur die Schultern, als wollte er sagen: Ich kann nichts dafür.
»Sören hatte die richtige Idee!« Mamma Carlotta stellte so
schwungvoll die Panini auf den Tisch, dass eins aus dem Korb hüpfte und direkt
neben Eriks Teller landete.
»Dass ich nicht selber darauf gekommen bin! Ich werde natürlich ein
italienisches Lied singen: âºO sole mioâ¹!«
Erik fuhr zusammen, als Mamma Carlotta urplötzlich in den Sopran
wechselte. Dann nahm er erleichtert zur Kenntnis, dass es ihr nicht darum ging,
die Mahlzeit mit ihrem Gesang zu bereichern, sondern um die Aufnahme in den
Inselchor, auf die sie sich gründlich vorbereiten wollte. Erik konnte nur an
eins denken: dass die Chorproben in einem Ãbungsraum stattfanden, der so weit
vom Süder Wung entfernt lag, dass er nichts davon mitbekommen würde. Also
nickte er zufrieden und bestärkte seine Schwiegermutter darin, die nächsten
Abende mit dem Inselchor zu verbringen. Voll heimlicher Freude malte er sich
aus, wie ruhig die Abende sein würden, die ihm bis zum Chorwettbewerb
bevorstanden. Kein Heideröslein und auch kein Brunnen vor dem Tore würden in
seinem Hause besungen werden.
Mamma Carlotta öffnete die Küchentür und rief ihre Enkel zu Tisch.
Erik wunderte sich nur wenig darüber, dass sie ihre Namen nicht nach der
Melodie von »Freude schöner Götterfunken« ins Treppenhaus trällerte.
Wenig später erschien Carolin in einem rosa T-Shirt, was Erik sehr überraschte. Normalerweise konnten ihr
Kleidung und Frisur gar nicht schlicht genug sein, und jede Art von dekorativem
Make-up lehnte sie rundheraus ab. Lucia war, wenn sie Carolins Kleiderschrank
öffnete, oft in lautes Wehklagen ausgebrochen, weil sie mit einer Tochter
gestraft war, die sich weigerte, sich zu einer reizvollen jungen Frau zu
entwickeln. Carolin lieà nur Graues und Beiges an sich heran und duldete als
Haarschmuck nicht mehr als das Gummiband, mit dem sie ihre Haare im Nacken
zusammenraffte. Und nun ein rosa T-Shirt!
»Wow!«, machte Felix, der hinter ihr die Küche betrat. »Demnächst
wird es wohl auch eine weiÃe Rüschenbluse sein, wie Marianne sie gern trägt.
Wie wärâs noch mit einem Dirndl?«
Mamma Carlotta nahm ihm zur Strafe für diese Hänselei sein Käppi ab
und versprach ihm Wasser und Brot statt Saltimbocca, wenn er es noch einmal
wagen sollte, es bei Tisch auf dem Kopf zu behalten. Dann wandte sie sich
Carolin zu, griff, wie sie es schon hundertmal vorher getan hatte, in ihren
Nacken und zog ihre Haare aus dem Gummi. »Molto bello, dieses rosa T-Shirt! Nun noch die Haare offen! Ecco, so
musst du beim Chorwettbewerb aussehen.«
Erik staunte seine Tochter an, die verlegen lächelte und zum ersten
Mal, seit ihre Nonna versuchte, ihre Frisur zu verändern, darauf verzichtete,
ihr Haar wieder in das Gummiband zu zwingen. Wenn er sich nicht täuschte, hatte
sie sogar ein wenig Rouge aufgelegt. Er musste sich unbedingt bei nächster
Gelegenheit nach diesem Michael erkundigen. Und natürlich nach der Familie
Silbereisen. Ein völlig untypischer Name für Sylt. Dass ihm der noch nie
begegnet war â¦
»Was ist mit Henner Jesse?«, fragte Felix, schnappte sich mit der
linken Hand eine marinierte Paprikaschote und nutzte, während seine Nonna sich
darüber empörte, die rechte Hand dafür, sein Käppi wieder auf den Kopf zu
schieben. »Ist er sehr schwer verletzt?«
»Er wird durchkommen!«, beruhigte Mamma Carlotta ihn, die immer
schneller im Antworten war als Erik. »Sobald er bei Bewusstsein ist, wird er
deinem Vater erklären, wer ihn zusammengeschlagen hat. Und dann wird Enrico ihn
verhaften, und er wird seine gerechte Strafe bekommen. Davvero, Enrico?«
Während sie die Antipasti aufspieÃten, die Panini zerbröselten, die
Spaghetti aufwickelten, die HolzspieÃe aus den Kalbsschnitzeln zogen, den
krossen Parmaschinken zwischen den Vorderzähnen knirschen lieÃen, die Panna
cotta löffelten und schlieÃlich den Espresso schlürften, warfen Erik und Sören
sich gelegentlich Blicke zu,
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