Tod im Moseltal
Steyn und Christian Buhle saßen nun auf Augenhöhe. Es herrschte plötzlich Stille im Raum. Von irgendwoher im Haus drangen noch kaum hörbar Stimmen und Schritte zu ihnen herauf, sonst war es ruhig. Marie musterte den Mann. Dass er sofort gemerkt hatte, dass seine Position eine Zumutung für sie war, hatte sie überrascht und ihr Interesse erregt. Sie kannte wenige Männer, denen das aufgefallen wäre. Die meisten hätten wohl eher bewusst eine überlegene Stellung gewählt, das hatte ja auch über Jahrtausende gut funktioniert.
Sie sah Buhle direkt in seine bemerkenswert blauen Augen, ließ den Blick nach oben zu den nicht besonders stark ausgeprägten Augenbrauen wandern und weiter bis zu dem dichten und tief liegenden Haaransatz. Dazwischen lagen zahlreiche feine, aber dennoch deutliche Stirnfalten im ansonsten entspannten Gesicht. Der Kriminalist schien also schon schwierigere Zeiten hinter sich zu haben als einen Mordfall.
Bei diesem Gedanken zuckte sie innerlich zusammen. Für ein paar Sekunden hatte sie die Situation um sich herum vergessen, wie immer, wenn sie Menschen, die ihr fremd waren, das erste Mal gegenübersaß. Bei Kindern und Jugendlichen war das immer ein Vorteil. Sie merkten, dass sie ungeteilte Aufmerksamkeit erfuhren, vielleicht das erste Mal in ihrem Leben. Das war die Basis für Vertrauen, das Marie als Psychotherapeutin unbedingt brauchte. Hier und heute waren die Vorzeichen allerdings andere. Hier saß sie jemandem gegenüber, der die Wirklichkeit vom Schein trennen musste, um die Lösung seines Falls zu finden.
»Darf ich fragen, wo Sie jetzt genau herkommen?« Die Stimme des Kommissars war ihr durchaus angenehm: ruhig, klar, freundlich, etwas distanziert; sie wünschte, mancher ihrer Kollegen würde so mit seinen Klienten reden. Aber sie zwang sich weg von der Analyse, sie musste sich auf das konzentrieren, was hier vorgefallen war.
»Herr …« Sie musste sich eingestehen, dass sie den Namen des Kommissars vergessen hatte.
»Christian Buhle«, sagte der Kommissar noch einmal. »Was möchten Sie sagen, Frau Steyn?«
Marie schloss kurz die Lider und blickte Buhle dann in die Augen. »Herr Buhle, darf ich dann fragen, was hier geschehen ist?«
Als Buhle leicht nickte, erklärte Marie, dass sie mit ihren beiden Kindern das verlängerte Wochenende über Allerheiligen bei ihrer Mutter in Metz verbracht hatte. »Es ist gut für die Kinder, ab und zu nicht nur ihre Mutter französisch sprechen zu hören. Seit sie aus dem Kindergarten raus sind, hat sich ihr Wortschatz deutlich verkleinert.«
»Sie sprechen mit Ihren Kindern französisch?« Buhle hob interessiert die Augenbrauen.
»Soweit es geht, schon. Ich bin gebürtige Französin mit algerischen Wurzeln, wie Sie mir vielleicht ansehen. Ich bin in Luxemburg aufgewachsen, habe in Trier studiert und lebe seitdem in dieser Stadt. Es ist für Kinder außerordentlich gewinnbringend, wenn sie die Möglichkeit haben, mehrsprachig aufzuwachsen. Wer weiß, vielleicht pendeln sie später wie so viele hier nach Luxemburg, um dort zu arbeiten.«
Auch wenn die Unterhaltung mit dem Kriminalbeamten nicht unangenehm war, wurde Marie langsam doch ungeduldig. »Darf ich jetzt wissen, was hier eigentlich los ist? Außer dem Gestammel meines Mannes am Telefon weiß ich nichts. Das ist keine besonders angenehme Situation, wie Sie sicher verstehen.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen. Erlauben Sie aber vorher noch zwei Fragen, dann erzähle ich Ihnen alles, was ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt erzählen darf.« Nach Maries Zustimmung fuhr Buhle fort: »Warum haben Sie gar keinen Akzent, wenn Sie doch erst zum Studium hierhergekommen sind?«
Marie wurde jetzt ärgerlich. War das eine Frage, die einen Kommissar in einem Mordfall weiterbringen würde? »Ich weiß zwar nicht, warum Sie das interessiert, aber ich scheine einigermaßen sprachbegabt zu sein. Ich habe in drei Ländern längere Zeit gelebt und spreche alle drei Sprachen eigentlich wie Muttersprachler; Französisch und Lëtzebuergesch sogar mit dem örtlichen Dialekt. Nur gegen Triererisch habe ich mich gewehrt.«
»Verständlich, für uns Zugezogene ist das Trierer Platt schwer zu ertragen.« Der Kommissar schien sich über diese Bestätigung seiner eigenen Ansicht ein wenig zu freuen.
»Ihre zweite Frage.« Marie reichte es langsam, sie wollte endlich wissen, wo Thomas steckte, ob er schon verhaftet war, wer diese Tote war, und überhaupt hatte es sich jetzt mal mit diesem
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