Tod im Palazzo
ein vage wohlwollendes Interesse entgegenbrachte und bei dessen Fernsehübertragungen Mittwoch abends er in seinem Sessel regelmäßig einnickte. Diese Florentiner Version aber war etwas anderes. Nie würde er den Tag vergessen, als er das Spiel zum erstenmal sah – es mußte vor mehr als fünfzehn Jahren gewesen sein. Er hatte den Umzug durch die Stadt mit Freude verfolgt. Hellebardiere und Gildenvertreter und andere Personen in mittelalterlichen Kostümen im hellen Sonnenlicht, die Trommler und Fahnenschwenker und die Pferde, die sich durch die engen Gassen und die Menge ihren Weg bahnten. Malerisch, dachte er, eine hübsche Show für die Touristen, die auf den Tribünen rings um den großen sandbedeckten Platz saßen und friedlich an ihren schmelzenden Eistüten leckten. Sie und der Wachtmeister wurden vom Preis abgelenkt, einer weißen Kuh mit goldenen Hörnern, die, ein wenig benommen von den flatternden Seidenfahnen und den dröhnenden Trommeln, in die Arena geleitet wurde.
Erst als die kostümierte Truppe abgezogen war und das Feld den Spielern überlassen hatte, beschlich den Wachtmeister ein dunkler Zweifel. Auch sie trugen Kostüme, aber die aufgeschlitzten Ärmel und die Kniehosen und die langen, bunten Strümpfe milderten nicht den Eindruck, den ihre Stiernacken und ihre kämpferischen Mienen erzeugten. Der Wachtmeister, der bei diesem ersten Mal Dienst hatte, stand direkt am Rand des Spielfelds, und die Erregung, die aggressive Sprache und bestimmte Gesten entgingen ihm keineswegs. Die Touristen, in sicherer Entfernung auf den teuren Sitzgelegenheiten hinter den Notabeln und dem Bürgermeister der Stadt untergebracht, leckten noch immer an ihren Eistüten und plauderten. Auf den anderen Tribünen aber, wo die lokalen Fans saßen, bauten sich Wellen der Unruhe auf. Der Wachtmeister sah sich nervös um, während Bekanntmachungen in verschiedenen Sprachen über Lautsprecher verlesen wurden. Niemand sonst schien beunruhigt zu sein. Die Fans warfen schließlich mit nichts Gefährlicherem als gefärbten Nelken um sich, fliegenden dunklen Silhouetten, die kreuz und quer über den blauen Mittsommerhimmel segelten und in einem Muster, das den Farben ihrer Mannschaft entsprach, auf dem Sandboden landeten.
In der Nähe des Wachtmeisters stand der Turnierleiter, angetan mit dekorativem Umhang und schwarzem Samthut, in der rechten Hand ein Schwert haltend, wie der Wachtmeister amüsiert feststellte, als wollte er sich sofort auf einen Gegner stürzen. Das war sein letzter Gedanke, bevor ein Böllerschuß loskrachte und den Platz mit seinem Dröhnen erfüllte. Der Wachtmeister konnte gerade noch sehen, wie der Ball in eine Richtung hochflog, als die Spieler sich in einer einzigen Kugel verknäulten, die in die andere Richtung drängte, und ein heftiger Kampf ausbrach. Die Anhänger sprangen unter wildem Gebrüll auf. Der Wachtmeister stand offenen Mundes da und sah sich um. Sollte er nicht eingreifen? Guter Gott! Jemand sollte eingreifen! Hatte er nicht einen Schiedsrichter gesehen? Dort war der Schiedsrichter. Der arbeitete sich nach einer Weile aus dem kämpfenden Knäuel hervor, stand auf und begann, am Hemd eines der aggressiveren Kämpfer zu zerren. Zunächst wurde er ignoriert, doch dann bemerkte der hünenhafte Spieler diesen störenden Angriff von hinten, drehte sich um, packte den Schiedsrichter und schleuderte ihn über die Umzäunung des Spielfelds. Das Gebrüll wurde lauter. Der Wachtmeister hörte ein metallisches Geräusch neben sich. Der Turnierleiter eilte im Laufschritt nach vorne, mit wehendem Mantel und erhobenem Schwert. Es war kein Spielzeugschwert. Innerhalb von Sekunden war die Ordnung wiederhergestellt. Nachdem das ineinander verschlungene Menschenknäuel aufgelöst und der Punkt vergeben war, stellte sich heraus, daß ein bestimmter Spieler als Opfer ausersehen war, und zwar der größte und wildeste einer Mannschaft. Er sollte so früh wie möglich ausgeschaltet werden. Nun stand er rotbackig und verschwitzt da und brüllte wutentbrannt. Die Reste seines T- Shirts hingen in Fetzen über seiner zerrissenen Hose. An der Nase und seitlich am Gesicht blutete er. Irgend jemand hatte ihm das Ohr abgebissen, aber der wahre Grund für seine Wut war die Tatsache, daß er als Verletzter vom Spielfeld geschickt wurde. Er verschmähte die herbeigebrachte Trage und schaffte es, einem der Gegner noch einen anständigen Schlag zu verpassen, bevor er weggezerrt wurde. Nun begann man, nach dem Ohr zu
Weitere Kostenlose Bücher