Tod im Schärengarten
seinem Blickfeld verschwand. Gleich darauf machte das Geknatter des TV – Hubschraubers alle Versuche einer Verständigung zunichte.
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Kapitel 3
Nora Linde legte die Hand auf die schmiedeeiserne Klinke und drückte sie vorsichtig herunter. Die altertümliche weiße Pforte reagierte sofort und öffnete sich zum schönen, aber bereits verwilderten Garten.
Sie blieb am Fuß der Treppe stehen, die zum Eingang der Brand’schen Villa hinaufführte, Sandhamns wohl schönstem Haus. Es stand ganz oben auf dem Kvarnberget, direkt über der Fahrrinne zur Insel mit Blick in alle Himmelsrichtungen. Drüben im Sund nahm gerade eine der weißen Waxholmfähren Kurs auf den Dampfschiffhafen, voll besetzt mit Touristen natürlich, denn es war ja Hochsaison. Nora konnte sehen, wie die Passagiere sich voller Vorfreude über die Reling lehnten und Richtung Sandhamn blickten.
Ihre rotblonden Haare, die den Winter über gewachsen waren und ihr nun bis auf die Schultern reichten, flatterten in der leichten Brise. Mit geübten Bewegungen fasste Nora sie zu einem Pferdeschwanz zusammen und zog ein Gummiband darum.
Von Weitem sah sie aus wie ein Teenager mit ihrer knabenhaften Figur und den langen, braun gebrannten Beinen. Erst wenn man näher kam, konnte man sehen, dass sie eine erwachsene Frau war, die zwei Kinder geboren hatte. Trotzdem umspielte das hellblaue Top ihre Taille ganz locker.
Sie war gerade neununddreißig geworden und hatte ein paar Fältchen um die Augen bekommen. Das eine oder andere graue Haar war zu sehen, und die Sommersprossen auf der Stupsnase erzählten von viel Sonne und frischer Luft.
Ihre grauen Augen waren dunkel vor Kummer.
Den ganzen Tag schon hatte ihr vor diesem Gang gegraust. Sie hatte Henrik angefaucht und mit den Kindern geschimpft. Schließlich hatte Simon, der erst sieben war, sie gefragt, ob er etwas Schlimmes getan habe, weil sie so böse war. Adam hatte neben ihm gestanden und zustimmend genickt.
Das tat weh.
Sie hatte tief Luft geholt und beschlossen, sich nicht so herunterziehen zu lassen. Oder wenigstens ihre Anspannung nicht an der Familie abzureagieren.
Dass Signe Brand, ihre alte Nachbarin und zeitlebens so etwas wie ihre Nenn-Oma, ihr die Brand’sche Villa vermacht hatte – an den Gedanken hatte sie sich inzwischen gewöhnt. Aber der Kummer über das, was Signe sich hatte zuschulden kommen lassen, war immer noch frisch und schmerzlich.
Letzten Sommer war herausgekommen, dass Signe ihren Neffen und dessen Cousine getötet hatte, als die beiden ihren Anteil an der großen Villa forderten und Signe zwingen wollten, das Haus zu verkaufen. Nora selbst war kurz davor gewesen, an einem Insulinschock zu sterben, nachdem Signe – ohne sich der Gefahr bewusst zu sein, in die sie Nora damit brachte – sie im Leuchtturm auf Grönskär eingesperrt hatte. Hätten ihr Mann Henrik und ihr bester Freund Thomas sie nicht in letzter Sekunde gefunden, wäre auch sie jetzt nicht mehr am Leben.
Ihr lief unwillkürlich ein Schauer über den Rücken.
Nora holte tief Luft und versuchte, sich zusammenzureißen. Der Stein im Magen wollte nicht weichen, aber es war Zeit, hineinzugehen. Sie musste eine Entscheidung treffen, was mit dem Haus werden sollte. Heute war dafür ein genauso guter Tag wie jeder andere.
Langsam ging sie die Treppenstufen hinauf und steckte den Schlüssel ins Schloss. Es knirschte ein wenig, nicht überraschend bei einem so alten Haus. Aber dann ging die Tür auf und eröffnete den vertrauten Blick auf ein Heim, in dem sie von Kindesbeinen an ein und aus gegangen war.
Die geräumige Diele führte zu einem großen Esszimmer, das zum Meer hin lag, so dicht am Wasser, dass man es riechen konnte. Schöne alte Spitzengardinen schmückten die hohen Fenster. In einer Ecke thronte ein riesiger Kachelofen, dunkelgrün und mit Goldranken verziert.
Neben dem Esszimmer befand sich ein großer Salon mit einer altmodischen Sitzgruppe, an den sich eine Glasveranda mit Sprossenfenstern anschloss. Auf dieser Veranda war Signe kurz vor ihrem Tod gefunden worden. Sie hatte sich mit Morphin und einer Überdosis Schmerztabletten das Leben genommen.
Es war ganz still im Haus. Zu still.
Nach einer Weile ging Nora auf, was fehlte. Die alte Standuhr im Esszimmer tickte nicht mehr. Signe hatte immer sorgfältig darauf geachtet, die Uhr aufzuziehen, die ihr Großvater Alarik Brand Ende des neunzehnten Jahrhunderts hatte hierher bringen lassen.
Sie ging zu dem grauen Büfett, das in einer Ecke
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