Tod im Tal der Heiden
Stille lastete auf dem Ort.
»Artgal!« wiederholte Rudgal noch lauter. Entschuldigend sagte er nun: »Ich war mir sicher, daß er hierher gehen würde. Vielleicht war er schon hier, hat die Kühe geholt und ist geflohen. Aber mit den Kühen kann er nicht weit gekommen sein. Wir hätten ihn bestimmt gesehen.«
Als auch Rudgals zweiter Ruf unbeantwortet blieb, stieß er die Tür der Hütte auf und ging hinein. Die anderen folgten ihm. Es war niemand da, doch die wenigen Habseligkeiten befanden sich ordentlich an ihrem Platz. Nichts deutete darauf hin, daß Artgal die Hütte fluchtartig verlassen hatte. Nur ein Stück Tuch lag auf dem Boden. Fidelma hob es auf. Es war eine Schürze. Sie hängte sie an einen Haken und wunderte sich, daß ein Mann wie Artgal so etwas besaß. Aber es schien zu der Ordnung und Sauberkeit der Hütte zu passen. Wenn Artgal so peinlich sauber war, trug er vielleicht auch so eine große Schürze.
»Ich habe mich wohl geirrt«, murmelte Rudgal. »Er muß woanders hingegangen sein, doch ich wüßte nicht, wohin.«
»Aber die Kühe sind weg«, bemerkte Eadulf.
»Wenn er sie weggetrieben hat, dann hätten wir ihn sicherlich gesehen«, meinte Rudgal noch einmal. »Ein einzelner Hirt und zwei Kühe sind in dieser Gegend leicht auszumachen.«
Das stimmte, denn im Tal standen nur wenige Bäume.
»Aber eine andere Erklärung gibt es anscheinend nicht«,fügte er hinzu. »Artgal muß fort sein und die Kühe mitgenommen haben. Ich sehe mal nach, ob ich Spuren entdecke, die wir verfolgen könnten.«
Rudgal verließ die Hütte. Fidelma verharrte in der Mitte des einzigen Raumes, ihr scharfer Blick wanderte umher und spähte aufmerksam in jeden Winkel. Auf dem Tisch standen zwei Steingutbecher. Anscheinend hatte Artgal vor kurzem Besuch bekommen und keine Zeit mehr gehabt wegzuräumen.
Sie besah sich die Becher und roch vorsichtig daran, um festzustellen, was sie enthalten hatten. Diesen würzigen Duft hatte sie schon einmal gerochen.
»Artgal ist ein sehr sauberer Mann für einen Grobschmied und Krieger«, sagte sie leise.
Eadulf schmunzelte.
»Sind denn Grobschmiede und Krieger unweigerlich unsauber?«
»Du hast Artgal gesehen. Ich hätte nicht erwartet, daß er so pingelig ist. Welchen Wert eine Person auf ihre Kleidung legt, sagt viel über sie aus. Die Hütte ist jedoch makellos sauber.«
»Ich kenne Leute, die schlampig gekleidet sind, aber ihre Wohnungen peinlich sauberhalten, und umgekehrt«, meinte Eadulf.
Plötzlich ertönte draußen ein Aufschrei.
»Schwester! Bruder!« Rudgals Stimme überschlug sich fast vor Entsetzen.
Eadulf und Fidelma wechselten einen Blick und eilten hinaus. Rudgal stand an der Rückseite der Hütte und starrte auf etwas am Boden. Es war der Leichnam Bruder Dianachs.
»Ich ging um die Hütte herum, um nach Spuren zu suchen, und da stieß ich auf die Leiche«, erläuterte Rudgal überflüssigerweise.
Eadulf bekreuzigte sich, während sich Fidelma neben der Leiche auf ein Knie niederließ.
Der junge Mönch lag auf der Seite, die Füße und die untere Körperhälfte in dem kleinen Schuppen, der Oberkörper draußen, das Gesicht nach unten, ein Arm ausgestreckt. Blut bedeckte den Boden. Vorsichtig drehte Fidelma den Leichnam auf den Rücken. Überall war Blut. Jemand hatte Bruder Dianach die Kehle durchgeschnitten, ein langer, tiefer Schnitt hatte den Hals fast bis zur Rückseite durchtrennt.
Fidelma fielen die Lippen und das Zahnfleisch des toten Mönchs auf. Sie zeigten eine leichte bläuliche Verfärbung, die sie sich nicht erklären konnte. Offensichtlich hatte der Messerschnitt den Tod verursacht; die Wunde blutete noch. Angewidert befühlte sie die Haut. Sie war noch warm. Bruder Dianach war erst vor kurzem gestorben, wahrscheinlich zu der Zeit, als sie die Hütte betraten.
Sie sprang auf und suchte mit Blicken die Umgebung ab.
»Hast du jemanden gesehen, Rudgal?«
Der sah sie verwirrt an.
Fidelma wurde ungeduldig.
»Dianach ist gerade erst getötet worden, vielleicht in dem Moment, als wir in der Hütte waren. Sieh mal, der Schuppen ist klein, man muß sich bücken, um hineinzuschauen. Kann sein, daß sich Dianach darin versteckte, als wir uns der Hütte näherten. Sein Mörder muß ihn so überrascht und ihm die Kehle durchgeschnitten haben. Das war erst vor wenigen Augenblicken.«
Rudgal stieß einen leisen Pfiff aus.
»Ich ging um die Hütte herum, aber da war niemand. Erst als ich nach Spuren der Rinder zu suchen begann, sah ich plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher