Tod in Bordeaux
Benehmen an diesem Morgen ... angespannt, gereizt und sogar aggressiv war er gewesen.
Die Wolkendecke schloss sich wieder, es wurde Nacht. Heute würde er die Strecke nicht schaffen, er war müde und der Wagen zu schwer, fast eine halbe Tonne Wein, Kisten mit klassifizierten Crus aus dem Médoc, aus Pauillac, Saint-Estèphe und Margaux und von der anderen Seite der Gironde, aus Canon-Fronsac, Pomerol und natürlich Saint-Émilion. Er hatte die Weine direkt von den Winzern gekauft - zu Freundschaftspreisen, dank seiner jahrelangen Beziehungen und Gastons Hilfe. Es waren erste Gewächse, nur für Liebhaber. Sie bekamen einen fairen Preis und zahlten bar und fragten nie nach der Rechnung. Nur knapp ein Drittel davon stand auf seiner Transportliste. Genau deshalb hatte ihm Gaston am Morgen Vorwürfe gemacht.
Ab Saarbrücken nahm Martin die A 6, aber als die Hügel begannen, verließ er die Autobahn, es reichte ihm für heute. In einem menschenleeren Dorf flackerte ein Schild Fremdenzimmer an der Giebelwand eines Gasthofes. Er hielt und setzte den Wagen rückwärts so dicht an die Wand, dass niemand an die Heckklappe herankommen konnte, ließ das Lenkradschloss einrasten und kontrollierte trotz der Zentralverriegelung die Türen.
Als er schwerfällig die von Geranien eingefasste Treppe zum Gasthof hinaufging, fuhr ein großer BMW auf der Dorfstraße langsam vorüber. War das nicht der Idiot, der ihn fast gerammt hätte? Ach, von diesem Wagentyp gab es Tausende.
Martin öffnete die Tür. Eine Theke mit runden Lämpchen darüber empfing ihn, rechts lag der spießig gemütliche Gastraum mit ein paar Tischen, darauf gemusterte Decken und Vasen mit einsamen Blumen. Links vom Eingang blinkten die Lichter eines Spielautomaten wie Notsignale. Aus der Tür hinter dem Tresen trat eine Frau, wischte sich die Hände an der Kittelschürze ab und musterte Martin stumm von oben bis unten. Mit dem zerzausten Haar, dem Drei-Tage-Bart, und der abgewetzten Lederjacke sah er weder nach Vertreter noch nach Tourist aus.
«Haben Sie ein Zimmer ... und vielleicht was zu essen?»
«Eigentlich ist die Küche geschlossen! Aber wenn s sein muss.» Die Frau blätterte im Gästebuch. «103 ist frei, erster Stock, 35 Euro - mit Frühstück.» Sie gab Martin den Schlüssel. «Gepäck?» Sie runzelte die Stirn.
«Doch, doch. Im Wagen, ich hol’s gleich», sagte Martin entschuldigend. «Haben Sie eine Garage?»
«Nein, aber wenn es Sie beruhigt, dann stellen Sie den Wagen auf den Hof. Wir schließen abends das Tor ab, da kann keiner rein.»
Die ausgetretene Treppe hinauf in den ersten Stock knarrte entsetzlich, das Zimmer jedoch war passabel, und als die Wirtin ihm später Salat mit Putenfleisch vorsetzte, entspannte er sich. Nur der Balsamico-Essig schmeckte unecht. Das Geschnetzelte mit den hausgemachten Spätzle war ausgezeichnet, das frische Pils nach dem vielen Wein eine Wohltat und der Kaffee stark genug. Jetzt nur noch ein wenig frische Luft, und er würde gut schlafen können.
Martin trat auf die Straße. Es war kalt geworden, und Feuchtigkeit wehte in dicken Schwaden von den Wiesen herüber. Der Herbst kündigte sich an. Er schlenderte durch das vereinsamte Dorf und bekam den Kopf wieder frei. Ein ferner Lichtpunkt zog ihn magisch an, das Schaufenster einer Apotheke. Das Großfoto der strahlend schönen und endlich von Kopfschmerzen befreiten Frau lächelte ihn an; sie erinnerte ihn an Petra.
Er hatte das Handy nicht eingeschaltet, um sich zumindest heute noch den Alltag vom Hals zu halten. Sollte er sie jetzt anrufen? Er zögerte und betrachtete die Frau im Schaufenster. Wovon könnte er ihr erzählen? Von langen Spaziergängen mit Gaston und ihren Gesprächen über Setzlinge und Rebschnitt? Oder von Fassproben in kleinen, kalten Gewölben? Das waren nicht ihre Themen. Sie träumte von den gewaltigen Kellern der großen Chateaus mit der feierlichen Atmosphäre von Kirchen, in denen man beim Hall seiner eigenen Schritte erschrak.
Petra mochte Gaston nicht, er gehörte nicht zu den Menschen, von denen sie sich etwas versprach. Sie hätte Martin lieber in Gesellschaft der Besitzer von Château Cheval Blanc oder Latour gesehen. Dass Gaston auf dem besten Wege war, sich einen Namen zu machen, ließ sie kalt. Für Caroline empfand sie Mitleid; die Ärmste hatte schmutzige Fingernägel und lief in Gummistiefeln herum.
Umgekehrt war es nicht viel anders. Gaston nannte Petra La Oie , die Gans. Sie sah blendend aus, und damit war von seiner
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